Getanzte Mutter-Tochter-Beziehung

Doris Uhlich über ihre Mutter

"Eine zentrale Begegnung im letzten Jahr war die Begegnung mit meiner Mutter. Man glaubt, der Mutter schon seit der Geburt an begegnet zu sein, und trotzdem war es so, dass ich während der Proben für mein Projekt 'Uhlich' eine andere Person gesehen habe, der ich auch begegnet bin."

Familienaufstellung einmal anders

Die Tänzerin und Choreografin Doris Uhlich. Seit Beginn ihrer Laufbahn möchte die gebürtige Oberösterreicherin erforschen, was Tanz abseits akademischer Auffassung sein kann - und wie Kunst tief ins Leben hinein reichen kann. Aufmerksamkeit erregt die 34-Jährige bei ihren zahlreichen Projekten schon allein deshalb, weil sie als Tänzerin nicht elfenhaft leicht und mager über die Bühne schwebt, sondern sich selbstbewusst zu ihrer barocken Körperlichkeit bekennt. Und Schönheit entdeckt die Künstlerin auch im alten Körper.

Mit ihrem jüngsten Projekt, "Uhlich", das im Rahmen der Wiener Festwochen Anfang Juni im Wiener Museumsquartier gezeigt wird, geht Doris Uhlich nun der Frage nach, welche unbekannten Ausdrucksmöglichkeiten in jener Person stecken, die ihr von Geburt an am vertrautesten ist. Das Projekt "Uhlich" ist eine Begegnung mit Gertraud Uhlich, der Mutter der Tänzerin: "Sie ist ein 45er-Jahrgang, und es war damals für sie nicht denkbar, einen Beruf wie Schauspielerin anzustreben, und viele Jahre später kommt die Tochter daher und sagt: ich habe da eine Idee, du stellst mich in 30 Jahren dar und gibst mir eine körperliche Prognose in die Zukunft. Sie hat ja gesagt, und plötzlich ist etwas in die Gänge gekommen, wo sie völlig neue Seiten an sich entdeckt hat - und ich in mir."

Choreografie des Alltäglichen

Gertraud Uhlich, eine ehemalige Sekretärin, die als Hausfrau am Attersee lebt, stellt ihre Tochter Doris in der Produktion als Tänzerin in 30 Jahren dar - und liest dazu einen Text von Jacques Derrida, in dem es um Überraschungen geht. Überraschend, so die Choreografin, war jedenfalls, dass ihre Mutter die philosophischen Gedanken nicht nur verstand, sondern sie auch in ihre natürliche Körpersprache übersetzte. Die Choreografie des Alltäglichen ist es schließlich auch, was die Künstlerin Doris Uhlich interessiert. So spricht sie etwa immer wieder Menschen auf der Straße an, die sie aufgrund bestimmter Gesten und Haltungen faszinieren.

Bei einer Seniorenmesse ging sie etwa auf einen älteren Herrn zu, den sie gleich für ihr erstes Tanzprojekt engagierte. "Frederic, ein 88-jähriger Mann, hatte einen leichten Buckel und eine dicke Brille, war meistens in Jeans und einen dicken Wollpullover gekleidet, er hatte wunderschöne Hände und malte auch. Meine Frage war: kannst du mit 88 Jahren noch auf den Boden runter gehen? Und er hat das dann gemacht - und mir sind in diesem Moment tausend Lichter aufgegangen. Ich habe gesehen, wo die Schönheit im Tanz steckt, nämlich in der Konzentration. Ein einfacher Moment wurde plötzlich zu etwas ganz Großem."

Schönheit ist nicht mit Worten zu fassen

Doris Uhlich erkannte, dass Schönheit in der absoluten Hingabe liegt; dass jeder Körper seine eigene Zeit hat; und dass Langsamkeit nicht einschläfernd sein muss, sondern im Gegenteil spannend wie ein Krimi wirken kann: "Er steht im Profil zu mir und rollt in Zeitlupe ab; irgendwann erreichen die Fingerspitzen den Boden; er beugt die Knie, geht in die Bauchlange, dann rollt er sich in die Rückenlage und wieder zurück in die Bauchlage, da sind bereits fünf Minuten vergangen. Den Moment, als er das Gewicht wieder auf die Füße bringt, wieder vor mir steht und in die Ferne schaut, den Moment werde ich nie vergessen."

Der alte Mann und die Tänzerin. Doris Uhlich, die sich in üppiger Nacktheit präsentierte, und ihr betagter Partner wollten dem Publikum ein Bild der unverstellten Schönheit vor Augen führen:
"Schönheit beginnt da, wo man sich selbst einbringt und sich Begegnungen stellt, ohne darauf zu achten, wie man äußerlich wirkt - ob die Schenkel nun x-large sind oder small, die Lippen rot oder nicht. Schönheit ist nicht mit Worten zu fassen, die uns Werbung und Zeitungen aufdrücken. Und ich glaube auch, da beginnt die Kunst."

Muttersprache

Jeder Körper hat eine bestimmte Sprache, ist Doris Uhlich überzeugt, und die ersten Laute dieser Sprache übernimmt man meist von seiner Mutter. In der Wieder-Begegnung mit der Körpersprache ihrer Mutter erkennt Doris Uhlich auch ursprüngliche eigene Bewegungsabläufe wieder. Sie sieht den Körper als Gefäß für ihre eigene Geschichte. "Der Körper ist wie der Container für alles, was ausgedrückt werden kann, was erzählt werden kann, der Sprache von sich gibt. Es beginnt alles dort, und wenn wir sterben, endet auch alles dort.

Die gemeinsame Bühnenarbeit wird für Doris Uhlich wie auch für ihre Mutter Doris zu einer bis dahin nicht erlebten Begegnungsform: "Es passieren gerade extrem viele Dinge zwischen uns, als auch für sie in ihrer Begegnung mit der zeitgenössischen Kunst, in ihrer Begegnung mit den Zuschauern. Und sie begegnet sich selbst, ihrer Gertraud Uhlich, ganz neu."

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Doris Uhlich