Die Plünderung afrikanischer Küstengewässer
Bedrohter Fischreichtum
Vor der Küste Westafrikas sind die Gebiete, die man als Auftriebsgebiete bezeichnet: Extrem nährstoffreiches Tiefenwasser kommt direkt vor der Küste hoch, was bedingt, dass da sehr große Fischbestände sind, traditionell ist es eines der fischreichsten Gewässer der Welt, erklärt Antje Helms von Greenpeace.
8. April 2017, 21:58
Unerschöpflich schien der Fischreichtum vor den Küsten westafrikanischer Länder wie Mauretanien, dem Senegal und Guinea-Bissau. Doch nachdem die EU ihre eigenen Gewässer zu 80 Prozent leer gefischt hat, verfolgt sie seit geraumer Zeit dieselbe aggressive Strategie im westafrikanischen Atlantik. Mittels "Fischereipartnerschaftsabkommen" und "Joint Ventures" sind derzeit über 160 europäische Schiffe in Hoheitsgewässern afrikanischer Staaten unterwegs, sagt die Meeresbiologin und Greenpeace-Kampagnenleiterin Antje Helms:
"Das klingt erstmal nicht sehr viel, aber genau diese Schiffe sind die größten der Welt, über 100 Meter lang." Diese Schiffe haben die Kapazität, täglich 300 Tonnen Fisch aus dem Wasser zu ziehen und die Fische sofort an Bord zu verarbeiten. Nach Europa kommen diese Fische bereits fertig abgepackt, ohne jemals die westafrikanische Küste gesehen zu haben, so Helms.
Brisante Situation in Westafrika
Mit der Kampagne "Stimmen aus Afrika" versuchte Greenpeace in den letzten Wochen, auf diese alarmierende Situation aufmerksam zu machen. Zwei westafrikanische Fischer, Haroun Ismael Lebaye aus Mauretanien und Ameth Wade aus dem Senegal, reisten durch Europa, um Politiker mit ihren Erfahrungsberichten zu konfrontieren. denn alle zehn Jahre wird die EU-Fischereipolitik reformiert. 2012 ist es zum nächsten Mal so weit.
Verhandelt werden die Entwürfe für das künftige europäische Fischereigesetz aber schon in diesen Wochen. Um der Plünderung der Ressource Fisch Einhalt zu gebieten, hoffen westafrikanische Fischereiverbände vor allem auf die Stimmen der europäischen Binnenländer, die im Atlantik keine Eigeninteressen verfolgen.
"Wir sind nach Österreich gekommen, um zu versuchen, die Öffentlichkeit auf den Ernst der Lage aufmerksam zu machen, in die uns der Zugriff europäischer Flotten auf unsere Ressourcen gebracht hat", sagt Haroun Ismael Lebaye, und Ameth Wade ergänzt: "Wir wollen darauf aufmerksam machen, welche Gefahren von diesen Schiffen ausgehen und dass wir ihretwegen Schwierigkeiten haben, unseren Beruf auf würdevolle Weise auszuüben, wie früher."
Wochen statt Tage draußen
Noch vor 15 Jahren, sagt Ameth Wade, kannte man in seiner senegalesischen Heimatstadt Joal keine Hochseefischerei. Seine Eltern fuhren morgens aufs Meer hinaus, fischten in küstennahen Gewässern und kamen am Abend desselben Tages zurück.
"Wir, die junge Generation, müssen heute kilometerweit hinaus fahren und bis zu zwei Wochen auf See bleiben, um unser Boot vollzubekommen", so Ameth Wade. "Manchmal fahren wir bis Guinea-Bissau. (...) Unsere Arbeitsbedingungen verschlechtern sich von Tag zu Tag. Tag für Tag erfahren wir eine Herabwürdigung unseres Berufs. Und die Zukunft unserer Kinder wird immer ungewisser."
Die "Hirten des Meeres"
Der Arbeitsalltag der Fischer hat sich auch in Mauretanien stark verändert. 80.000 Menschen gehen hier dem traditionellen Fischereihandwerk nach. Aufgrund ihres eng mit dem Ozean verknüpften Lebens, werden sie in Westafrika auch als die "Hirten des Meeres" bezeichnet. Über Jahrhunderte, erzählt Haroun Ismael Lebaye, pflegten sie eine einzigartige Form des Fischfangs:
"Unsere Ahnen konnten eine Verbindung mit den Delphinen schaffen. Die Delphine haben uns beim Fischfang geholfen. Wir brauchten nicht einmal in eine Piroge zu steigen, um zu fischen. Wir stellten uns an der Küste im seichten Wasser auf, spannten unsere Netze und begannen, mit Stöcken auf die Wasseroberfläche zu schlagen. Die Delphine kamen, wenn sie das Geräusch der Schläge hörten, angeschwommen und trieben Fischschwärme vor sich her, die uns direkt in die Netze gingen. Bei Dämmerung sangen und tanzten wir am Strand, um die Delphine zu feiern."
Heute, sagt Haroun Ismael Lebaye, könne man mit dieser Technik nicht mehr fischen. Rufe man die Delphine, kämen sie immer noch – aber ohne Fisch vor sich her zu treiben. Zum letzten Mal habe man 1988 mithilfe der Meeressäuger gefischt - genau ein Jahr, nachdem das erste Fischereiabkommen zwischen Mauretanien und der EU unterzeichnet wurde.
Fisch als wichtigste Proteinquelle
Im Senegal, sagt Ameth Wade, ist die Landwirtschaft stärker ausgeprägt als in Mauretanien, das der Sahelzone angehört. Dennoch ist Fisch die wichtigste Proteinquelle für die Bevölkerung. Das mittägliche Fischgericht Thiéboudienne sei aus der senegalesischen Kultur nicht wegzudenken.
"Früher waren die Einkaufskörbe der senegalesischen Hausfrauen gut gefüllt - mit schönen, hochwertigen Fischen", erzählt Ameth Wade. "Heute muss man schon froh sein, wenn man Sardinen bekommt. Unsere Küstengewässer sind bereits leer. Wir haben keinen Fisch mehr – wir sind gezwungen, vor Guinea und Mauretanien zu fischen. Das ist die Wahrheit – man kann sie nicht schönreden."
Trawler fischen wahllos ab
Die senegalesische Flotte ist groß und der Fischbestand verringert sich von Tag zu Tag. Geht es so weiter, wird die Zahl der illegalen Auswanderer zwangsläufig zunehmen. Durch ihren verchwenderischen und irrationalen Umgang mit den Ressourcen westafrikanischer Länder schaffe sich die EU ihre Probleme letztlich selbst, meint Ameth Wade:
"Sie fangen Hunderte Tonnen und verarbeiten nur einen Bruchteil davon. Der Rest wird tot zurück ins Meer geworfen. Das ist eine Verschwendung, die niemandem nützt. Die toten Fische verpesten nur den Ozean. Wir brauchen hier selektiven Fischfang: Man will Garnelen? Dann fischt man Garnelen. Man will Sardinen? Dann fischt man Sardinen. Aber man fischt nicht wahllos alles ab, pickt dann ein paar Sorten heraus und wirft den Rest zurück ins Meer. Die Europäer müssen sich dessen bewusst werden. Es braucht in Zukunft mehr Kontrolle auf diesen Schiffen, um Fangmethoden einzudämmen, die ganze Volkswirtschaften ruinieren können."
Illegales Eindringen in 12-Seemeilen-Zone
Der Fischfang mit riesigen Trawlern und Schleppnetzen birgt außerdem ein erhebliches Sicherheitsrisiko. Immer wieder, erzählen Ameth Wade und Ismael Lebaye, dringen europäische Schiffe, vor allem nachts, in die 12-Seemeilen-Zone ein, die eigentlich den lokalen Fischern in ihren Pirogen vorbehalten ist.
"Normalerweise sollten wir gar nicht in derselben Zone fischen", so Haroun Ismael Lebaye. "Aber oft dringen die Trawler nachts in unsere Zone ein, denn wir sind näher an der Küste, wo sich die Fische eher aufhalten. Wir können mit den Besatzungen dieser Schiffe nicht kommunizieren – bestenfalls durch Handzeichen. Und ein so großes Schiff, das ein 150 Meter langes Netz hinter sich herzieht, ist nicht manövrierfähig. Wenn es also auf eine Piroge zufährt, ist deren Zerstörung gewiss."
"Wenn wir einen Trawler sichten, schneiden wir unsere Netze durch und ergreifen die Flucht", berichtet auch Ameth Wade. "Sehen wir ihn früh genug, sind wir gerettet. Aber nachts kann es passieren, dass alle dösen - auch wenn wir eigentlich abwechselnd Wache halten. Dann bedeutet so ein Zusammenstoß den Tod. Doch auch wenn der schlimmste Fall nicht eintritt: Wir müssen häufig unsere Netze opfern, um einen Zusammenstoß zu vermeiden, und es gibt keine Entschädigung. Wir haben keinen Ort, an dem wir uns über diese Schiffe beschweren könnten."
Gefahr für kleine Boote
Um die Besatzung einer havarierten Piroge zu retten, müssten die Kapitäne der Trawler ihre Schleppnetze durchschneiden. Das, sagt Ismael Lebaye, habe er noch nie erlebt. Immerhin, sagt Antje Helms, würden ab und zu Funksprüche von Trawler-Kapitänen aufgefangen, die Hilfe anfordern, wenn sie meinen, eine Piroge überfahren zu haben.
Greenpeace habe einen Bericht vom Kapitän der 'Anna Maria' in die Hände bekommen, aus dem hervorgeht, das ser das Fischen in diesen Gewässern als sein Recht ansieht, so Helms. "Das ist absurd und kann so nicht weitergehen."
Ab und zu, erzählt Ismael Lebaye, komme es bereits zu Racheakten und Prügeleien zwischen lokalen Fischern und Trawlerbesatzungen. Ein Szenario nach dem "somalischen Modell" zeichne sich langsam ab:
"Die Küstengewässer Somalias waren die fischreichsten in ganz Ostafrika. Jetzt sind die Fischer zu Piraten geworden, weil die Europäer dort alles leergefischt haben. Was in Somalia geschehen ist, bedroht auch uns. Die Europäer haben ihre eigenen Ozeane geleert und nun tun sie dasselbe bei uns. Es ist ein Hilferuf, den wir an die EU-Politiker richten. Wenn es so weitergeht, werden auch wir Piraten werden - Guerilleros, wie die Somalier."
"Fisch gehört der ganzen Welt"
Die westafrikanischen Fischer sind übrigens nicht prinzipiell gegen Fischereiabkommen mit Europa. Doch es werde Zeit, sagt Haroun Ismael Lebaye, dass diese mit Sinn und Verstand abgeschlossen warden:
"Bei uns gibt es die Auffassung, dass der Fisch ein Weltkulturerbe darstellt. Und diese wollen wir auch in Europa verbreiten: Der Fisch, der vor unseren Küsten schwimmt, gehört nicht nur uns Mauretaniern, sondern der ganzen Welt. Aber es liegt auch in der Verantwortung der ganzen Welt, mit dieser lebenswichtigen Ressource einen respektvollen und vernünftigen Umgang zu pflegen."