Kunstaktion im Rahmen der Biennale

Ein Boot über die Alpen getragen

Sie sind zwei bergvernarrte Künstler oder zwei kunstvernarrte Bergsteiger - wie mans nimmt: Wolfgang Aichner und Thomas Huber haben fußläufig ein knallrotes Boot über die Zillertaler Alpen gehievt. Die Kunstaktion "passage 2011" ist ein offizielles Projekt der Biennale von Venedig. Am Donnerstag wird das selbstgebaute Schiff im Canal Grande von Venedig einlaufen.

Bei Wind und Wetter und in teilweise halsbrecherischen Abseilaktionen haben sie drei Wochen lang in den Bergen geschuftet. Startpunkt war München.

Kulturjournal, 22.06.2011

Im Schneechaos

Mit bloßen Händen ziehen Wolfgang Aichner und Thomas Huber das knallrote Boot über den Gletscher. Es hat geschneit und die beiden versinken bis zur Hüfte im Schnee. Das Boot bewegt sich nur wenige Zentimeter. Manchmal hantieren sie mit einem Seil und bauen Flaschenzüge, um das sperrige Vehikel vom Fleck zu bekommen.

Die beiden Künstler sind 45 Jahre alt und stammen aus München. Seit drei Wochen sind sie zu Fuß unterwegs. Vom Schlegeisstausee im Zillertal über den Nevessattel auf 3.000 Metern bis in hinunter ins Lappachertal in Südtirol verläuft die Route, zwischen Geröll und Gletscherfeldern, vorbei an Alpenrosen und Almwiesen.

Alpinistische Herausforderung

Die Alpenüberquerung mit dem Boot stellt eine immense körperliche und alpinistische Herausforderung dar, erklärt Thomas Huber: "Wir sind schon alte Bergsteiger, wir gehen seit vielen Jahren gemeinsam in die Berge. Diesmal haben wir uns speziell dafür vorbereitet, Kraft- und Ausdauertraining gemacht."

Anderthalb Wochen haben die beiden Abenteurer in München an der Schiffskulptur gebastelt. Das Boot besteht aus Polyesterharz und wiegt 150 Kilo. Mittlerweile hat das raue Bergleben dem filigranen Fremdkörper zugesetzt.

Doch das alles ist Teil des künstlerischen Konzeptes, meint Wolfgang Aichner: "Man sieht dem Boot an, dass es skizzenhaft hingerotzt ist. Das ist eine Ästhetik, die wir wollten für das Boot."

Geschoben, abgeseilt, getragen

Rund 16 Stunden am Tag haben Thomas und Wolfgang in den vergangenen 21 Tagen das Vehikel gezogen, geschoben, abgeseilt, getragen. Geschlafen und gegessen haben sie in eigens errichteten Hochlagern oder in nahe gelegenen Hütten.

"Fast wie ein Pendler, der sich morgens zur Arbeit hinbewegt, haben wir die Pendelbewegung gemacht: Stützpunkt, da wo's Boot am Tag zuvor stehen gelassen worden ist, sind wir hin gewandert, dann das Boot ein Stück weitergezogen und am Abend wieder abgestiegen", erzählt Aichner.

Subversive Freude

Ein Boot am Berg - das klingt nach einem absurden Unternehmen. Doch das Kopfschütteln bei Außenstehenden erzeugt bei den Gipfelstürmern subversive Freude. Sie selbst nehmen die Aktion ernst. Das Projekt will einen Bezug zu Werner Herzogs Filmklassiker "Fitzcarraldo" herstellen, in dem ein Dampfschiff durch den Dschungel gezogen wird. Aber auch Anklänge an die Arche Noah oder Hannibals Alpenüberquerung sind den beiden Münchner Künstlern willkommen.

Wichtig ist ihnen vor allem das ironische Statement zum Kunstmarkt, so Huber: "Dieses Transitdenken, das wollten wir karikieren - bis hin zu den Kunsttransporten, die täglich stattfinden und eine verheerende Ökobilanz haben. Wir machen Kunsttransport mit Muskelkraft. Und es ist der Spaß an der Sinnlosigkeit."

Alpenüberquerung ist geschafft

Nach drei Wochen kennt auch die Lust am Sinnlosen ihr Ende und die Alpenüberquerung ist geschafft. Nun geht es auf nach Venedig: "Es ist der totale Tapetenwechsel vom Gebirgsdorf in den Venedig-Jetset. Ich weiß gar nicht, ob wir dem gewachsen sind", lacht Huber.

Ein wenig ramponiert steht es da, das rote Boot. Nun tritt es - gekoppelt an einen Jeep - seine Reise in die Lagunenstadt an. Im Canale Grande wird es zu Wasser gelassen, als offizieller Beitrag der 54. Kunstbiennale - um den Sieg der Kunst über die Natur zu feiern.

Textfassung: Rainer Elstner

Service

In Venedig werden das Boot und die filmischen und fotografischen Dokumente samt Expeditionsprotokollen ausgestellt. Zu sehen ist das noch bis 11. September 2011 in der Scuola dell'Angelo Custode im Campo SS. Apostoli.

passage 2011
La Biennale di Venezia