Ein Leitfaden für die Befreiung

Von der Diktatur zur Demokratie

"Es ist möglich, sich von Diktaturen zu befreien." So lautet die Grundaussage von Gene Sharps "Lehrbuch zum gewaltlosen Sturz von Diktaturen". Der heute 83-jährige amerikanische Politikwissenschaftler hat sich sein ganzes Leben lang mit gewaltlosem Widerstand beschäftigt.

Als Jugendlicher verfolgte er die Herrschaft der Nationalsozialisten und den gewaltlosen Kampf Mahatma Gandhis. Als er selbst zum Koreakrieg eingezogen werden sollte, verweigerte er den Kriegsdienst und ging dafür neun Monate lang ins Gefängnis. Das Hauptwerk des Harvard-Professors erschien 1973 unter dem Titel "Politik der gewaltfreien Aktion". Warum Gene Sharp beim Kampf gegen Diktaturen nur gewaltloses Vorgehen für zielführend hält, erklärt er gleich am Anfang seines nun auf Deutsch erschienen Buches.

Langfristiger Plan notwendig

Auch ein Militärputsch bringt in der Regel keine Wende hin zur Demokratie, ebenso wenig Wahlen, die innerhalb einer Diktatur durchgeführt werden. Und auf Hilfe aus dem Ausland sollten die Gegner einer Diktatur auch nicht hoffen. Sie kann zwar unterstützend wirken, aber den internen Widerstand nicht ersetzen.

Um den internen Widerstand gegen eine Diktatur zu stärken und erfolgreich zu mobilisieren, müssen die Anführer des Widerstands einen gut durchdachten, langfristigen Plan entwickeln, davon ist Gene Sharp überzeugt. Der von ihm verfasste Leitfaden soll dabei helfen.

Als erstes sollen die Widerständler analysieren, worauf die Macht der Diktatoren beruht - nämlich in erster Linie darauf, dass die Unterdrückten weitgehend mit ihnen kooperieren.

NGOs als Unterstützer

Da totalitäre Regime mehr Macht benötigen als Demokratien, sind sie in höherem Maße auf das verlässliche Verhalten der Bevölkerung angewiesen. Die Macht innerhalb einer demokratischen Gesellschaft unterscheidet davon deutlich, denn innerhalb einer Demokratie haben eine Vielzahl von Vereinen, Verbänden, NGOs, religiöse Organisationen etc. Einfluss auf die Politik. Diese zivilgesellschaftlichen Institutionen bilden für Sharp wichtige Träger des Widerstands.

Die Nationalsozialisten haben zum Beispiel mit ihrer "Gleichschaltung" aller Institutionen diese Zellen des Widerstands erfolgreich ausgeschaltet.

Ein Beispiel dafür wäre die illegale Gewerkschaft Solidarnosc in Polen.

Psychologische Waffen

Sobald diese Institutionen also wieder etwas Bewegungsfreiheit erlangt haben, sollen sie sich auf die Suche nach den verwundbaren Stellen der Diktatur machen. Zum Beispiel verfügen Diktaturen oft nicht über vollständige Informationen über die Zustände im Land, oder die Ideologie, die als Rechtfertigung dient, kann erodieren.

Im Hauptteil seines Buches beschreibt Sharp die Funktionsweise und die Methoden des gewaltlosen Kampfes, der eine viel komplexere und vielfältigere Methode als Gewalt darstellt.

200 mögliche Vorgehensweisen

Im Laufe seiner jahrzehntelangen Forschung hat Gene Sharp etwa 200 Methoden gewaltlosen Vorgehens zusammengetragen, die entsprechend der Größe und den Fähigkeiten der Widerstandsbewegung angewandt werden können. Sie reichen von symbolischen öffentlichen Akten bis hin zu Streiks, Boykotten oder dem Aufbau alternativer Strukturen.

Gene Sharps nur 100 Seiten starker Leitfaden bietet keinen Raum, um geschichtliche Beispiele für die genannten Methoden darzustellen, was man an vielen Stellen, die etwas akademisch wirken, sehr vermisst. Lohnend ist die Lektüre dennoch, selbst wenn man in einer Demokratie lebt, denn sie erweitert das Verständnis für die gegenwärtigen politischen Entwicklungen. Außerdem hat die Kürze der Darstellung auch ihre Vorteile. Interessierte können sich die englische Fassung als pdf aus dem Internet herunterladen und sie ist auch schnell übersetzt. Derzeit bearbeitet Gene Sharp die Anfrage nach einer Übersetzung ins Chinesische.

service

Gene Sharp, "Von der Diktatur zur Demokratie. Ein Leitfaden für die Befreiung", C. H. Beck

C. H. Beck - Von der Diktatur zur Demokratie