Tunesien nach dem Umsturz

Die "Kaktus-Revolution"

Tunesiens bekanntester Intellektueller, der Theatermann Fadhel Jaibi, sieht große Gefahren für die Revolution in seinem Land. Am 14. Januar 2011 musste der Diktator Ben Ali aus Tunesien fliehen - es war der Triumph der sogenannten Jasmin-Revolution. Doch wie geht es seitdem weiter? Anders als er gehofft hatte, sagt der bedeutendste Intellektuelle des Landes.

"Die Europäer haben unsere Revolution die Jasmin-Revolution genannt. Ein unglücklicher Ausdruck, denn Jasmin blüht nur einen Nachmittag und einen Abend. Was wir brauchen, ist eine dauerhafte Revolution, eine Kaktus-Revolution", sagt Jaibi. Jetzt aber kommen neue Gefahren auf Tunesien zu: die Rückkehr des Islamismus und eine zunehmende Repression.

Kulturjournal, 14.07.2011

Gegenrevolution in den Startlöchern

Ist die tunesische Revolution am Ende? Viel spricht dafür. Vor zwei Wochen wurde ein Kino im Herzen von Tunis angegriffen, wo der religionskritische Film "Ni Allah, ni maitre" gezeigt werden sollte. Dutzende Islamisten attackierten das Kino, schlugen die Veranstalter zusammen. "Wir Künstler fühlen uns jetzt alle bedroht, mehr als unter Ben Ali", sagt Jaibi. Die Islamisten sind vor Monaten aus dem Gefängnis entlassen worden oder aus dem Exil zurückgekehrt. Heute greifen sie Frauen an den Stränden an, die Bikini tragen.

Die Situation der Intellektuellen hat sich nicht verbessert. Im Gegenteil: "Im Fernsehen laufen ständig politische Debatten, die Kultur kommt kaum zu Wort", sagt Fadhel Jaibi. Es finde erstaunlich wenig Fiction statt.

"Die Mächte der Gegenrevolution haben sich längst versammelt", sagt Jaibi. Dazu zählen die Repräsentanten des Ancien Régime, die man durch die Tür hinausgejagt hat und die nun durch das Fenster wieder hereinkommen. Krebsartig seien sie in allen Bereichen der Gesellschaft vertreten. Jaibi ist für eine Bestrafung zumindest der Anführer: "Ein Land ohne eine aufgearbeitete Geschichte hat keine Zukunft. Aber wir können auch nicht alle verfolgen, sonst sitzen zehn Millionen Tunesier auf der Anklagebank." Letztlich müsse eine Versöhnungskommission her wie in Südafrika.

Intellektuelle als "menschliche Störfaktoren"

Tunesien steht am Abgrund, obwohl die Menschen für die Revolution alles gegeben haben - nur der Westen könne helfen, auch indem er mehr Freiheiten gewährt. "Als junger Mann konnte ich reisen und in Paris studieren. Heute reisen die jungen Tunesier über das Meer, um vor Lampedusa zu kentern und zu ertrinken. Die bewunderten Helden der Revolution bekommen kein Visum, sie werden als wirtschaftlicher und menschlicher Störfaktor angesehen." Solange das so sei, bliebe vieles Lippenbekenntnis, könne die Revolution auch im Inneren nicht gelingen.