"Metamorphosen" in Kuhmo
Das größte Kammermusikfestival Europas
In diesen Tagen findet im finnischen Kuhmo das größte Kammermusikfestival Europas statt, das nördlichste musikalische Großereignis überhaupt. Zwei Wochen lang treffen sich hier 140 Musiker aus aller Welt. Sie proben, unterrichten, konzertieren beinahe rund um die Uhr. In diesem Jahr steht das Festival unter dem Motto "Metamorphosen".
8. April 2017, 21:58
Kulturjournal, 18.07.2011
Kontrabass als König
In Kuhmo hängt der Himmel nicht nur voller Geigen. Der Kontrabass, sonst der Diener der anderen Streicher, glänzt diesen Sommer hier als König der Instrumente: Es ist das einzige erhaltene Exemplar des Geigenbauers Amati anno 1680, in der Hand seines Spielers Niek de Groot.
"Das wird mehr und mehr ein Teil des Körpers, das wird immer intimer eigentlich", so De Groot. "Das ist wie eine Beziehung. Ich hab noch nie auf einem Instrument gespielt, das so ausgewogen war, aber von der Klangfarbe her wird es noch Jahre dauern, bis ich alles kenne."
Musik belebt Kuhmo
Elfeinhalb Monate im Jahr klingt Kuhmo nach gar nichts. Doch wenige Wochen nach Mittsommer gewinnt der Ort südliches Flair: Täglich knattern die Mofas, und auf den Straßen wimmelt es von Menschen. Musiker radeln mit dem Cello auf dem Rücken, Festspielgäste pendeln zwischen Kirche, Schule und Konzerthaus.
"Kuhmo klingt jetzt von 9:00 bis 1:00 Uhr in der Nacht mit fünf Konzerten pro Tag plus ein bisschen musikologischer Hilfe plus Poesien, Tanz, zwei Ausstellungen - und viel viel viel Kammermusik", so Vladimir Mendelssohn, der künstlerische Leiter des Festivals.
Keine Grenzen
Er tüftelt das ganze Jahr über an einer Festspieldramaturgie: "Es wird kein ästhetischer Fanatismus eingebaut hier. Ich kann Barockmusik auf barocken Instrumenten oder Barockmusik auf modernen Instrumenten haben - die Leute akzeptieren das. Von Monteverdi bis gestern komponiert - absolut keine Grenzen."
Die Besucher Herma und Wolfgang Clemens entdeckten Kuhmo vor einigen Jahren: "Wir erwarten nicht nur immer allererste Qualität, aber es ist meistens so. Das Schöne hier ist, dass alle vermitteln, von der Musik, die sie machen, selbst unwahrscheinlich begeistert zu sein. Und das reißt mit. Wir hören ja auch nicht die 'Kleine Nachtmusik' oder Beethovens Fünfte, sondern Dinge, die man selten oder überhaupt nicht hört."
Wie zum Beispiel das Auftragswerk von Jukka Tiensuu: ein neuer Mittelteil für Bachs Brandenburgisches Konzert Nr. 3. "Es gibt einen ersten Satz und einen letzten Satz und dazwischen Cembalo und das ist alles", so Mendelssohn.
Beim diesjährigen Festival kam es zur Uraufführung: "Es gibt auch geheime B-A-C-Hs. Es ist ein regenbogenartiges Stück."
Monteverdi bis Cage
Metamorphosen in der Musik - das Motto des diesjährigen Festivals ist weit gespannt: es umfasst die Wandlungen des Faust-Mythos durch die Jahrhunderte wie auch die verschiedene Gesichter menschlicher Leidenschaft - von Claudio Monteverdi bis hin zu John Cage.
Spielräume in Kuhmo, Zeitsprünge und Stilkontraste: morgens in der pastellfarbenen Holzkirche gläserne Cluster, mittags im eleganten Konzerthaus die satten Klänge des Amati-Basses, abends in der Kontioschule Donauwellen in der Zinkwanne.
Danel-Quartett spielt Beethoven
"Dieses Publikum von Kuhmo, besonders das Publikum in der Kontio-Schule, das ist das Ur-Publikum von Kuhmo", erläutert Marc Danel. "Da hat das Festival gestartet, und da sind auch großartige Sachen passiert."
Wie auch in diesem Jahr das Danel-Quartett Beifallsstürme entfesselte mit seiner energischen und zarten Interpretation von Beethovens Streichquartett Op. 130, gefolgt von der Großen Fuge Op. 133 als Finale.
"Es ist wie Gesang", meint Danel. "Aber wie Gesang von einem, der seine letzte Kraft gibt. Da geht's um Leben. Nicht um Leben und Tod, um Überleben. Und um zu sagen: Ich schaffe es doch. Wir haben sehr viel Glück, das zu spielen. Es ist pures Gefühl. Und da kann keine Grenze geben. Da muss man sich nicht schonen.
In Kuhmo gastieren dieses Jahr neben dem Danel-Quartett drei weitere Quartette: das russische Borodin-Quartett, das rumänische Enescu-Quartett und das finnische Meta4, das in diesem Jahr sein zehnjähriges Bestehen feiert.
Nabel der Kammermusikwelt
Vladimir Mendelssohn ist, der Strippenzieher und geistige Vater des Programms. Intendantin Sari Rusanen hält bei seinen Höhenflügen immer die Finanzen fest im Blick. Wie immer umfasst das Budget knapp eine Million Euro. Die Hälfte davon wird vom Kartenverkauf gedeckt, den Rest übernehmen Staat, Gemeinde und Sponsoren. Alle Künstler erhalten vergleichsweise bescheidene Gagen - und doch ist für sie Kuhmo der Nabel der Kammermusikwelt.
"Da kam ein Oleg Kagan oder der Pianist Zimmermann. Die kommen auf sehr hohen weißen Pferden. Nach 24 Stunden Musizieren mit Bekannt - Unbekannt, Jung - Alt kommen sie von dem weißen Pferd nach unten und dann spielen die mit uns. Das ist schon magisch", freut sich Mendelssohn.