Gottfried von Strassburg neu übersetzt

Tristan und Isold

Denkt man an den "Kanon deutschsprachiger Literatur" so wird jeder halbwegs interessierter Leser als Ausgangspunkt "Sturm und Drang", "Klassik" und "Romantik" wählen. Die Zeit des "Barock" rückt da schon etwas in die Ferne, obwohl Verlage gerade in letzter Zeit versuchen, diese Epoche den Lesern näher zu bringen.

Weitaus "dunkler" erscheint einem das angeblich so "dunkle Mittelalter". Doch auch hier haben einige Verlagshäuser seit einigen Jahren mutig Neueditionen gewagt. Erwähnt sei die Neuübersetzung des "Nibelungenlieds" von Siegfried Grosse, die durch die Nähe zum heutigen Deutsch überzeugt. Diese mittelhochdeutsch-neuhochdeutsche Ausgabe ist bei Reclam erschienen.

Im selben Verlag hat der Germanist Karl-Heinz Göttert das Buch "Die Ritter" herausgebracht und beschreibt durchaus unterhaltsam den Wandel dieses Standes in Leben und Literatur - vom "Reitersoldat" über die Kreuzritter bis zum Raubrittertum. Vor gut drei Jahrzehnten hat Dieter Kühn seine Biografie über den spätmittelalterlichen Dichter und Ritter Oswald von Wolkenstein herausgebracht. Niemand hätte gedacht, dass sich dieses Buch über 150.000 Mal verkaufen wird. Nun legt Kühn bei S. Fischer im Taschenbuch eine stark erweiterte Fassung seines "Ich Wolkenstein" vor - ein Muss für jeden Literatur- und Geschichtsfreund.

Verbotene Liebe

Eine ganz besondere Übersetzungs- und Editionsleistung ist die im Deutschen Klassiker Verlag erschienene Ausgabe von Gottfried von Strassburgs Versroman "Tristan und Isold". Bekannt ist natürlich die Adaption in Richard Wagners Musikdrama "Tristan und Isolde", doch wie man weiß, nahm es der Meister mit der Originaltreue seiner literarischen Vorlagen nicht allzu genau. Wer also wissen will, weswegen Gottfrieds "Tristan und Isold" einer der ganz großen Liebesromane der Weltliteratur und wahrscheinlich der erste durchkomponiert psychologische Roman ist, der lese die neu übersetzte und kommentierte Ausgabe von Walter Haug.

Tristan lebt nach dem frühen Tod der Eltern am Hof seines Onkels, König Marke von Cornwall. Tristan ist ein wackerer Ritter, erlebt daher viele Abenteuer und lernt bei seinen Reisen auch Isolde, die Tochter des Königspaares von Irland, kennen. Als nun König Marke heiraten möchte, empfiehlt Tristan höchstpersönlich, Isolde zur Frau zu nehmen. Der Onkel willigt ein und schickt seinen Neffen als Heiratsboten nach Irland. Das Werben ist erfolgreich und alsbald reisen Isolde und Tristan per Schiff nach Cornwall zurück. Allerdings hat Isoldes Mutter einen "Minnetrank" gemixt, den Isolde mit Marke in der Hochzeitsnacht trinken soll. Irrtümlich nehmen Isolde und Tristan von dem Trank - und sind so in rasender Liebe aneinander gebunden. Schon bei der Schiffsüberfahrt geben sie sich ganz der Liebe hin und geraten damit in große Not: Isolde wird nicht jungfräulich in die Ehe mit Marke gehen.

Ab da ist alles nur noch List, moralischer Schein und Betrug. Und die Flamme der Liebe brennt weiter und weiter. Es entwickelt sich eine psychologisch konfliktreiche Dreiecksgeschichte, denn auch König Marke weiß nicht, was er tun soll. Die wichtigsten Menschen auf Erden sind für ihn Isolde und Tristan. Und genau diese betrügen ihn - allerdings gezwungenermaßen, denn der verhexte Liebestrank, den sie zu sich genommen haben, entbindet sie aller menschlichen Schuld. Als Marke Gewissheit über die heimliche Liebe hat, zieht Tristan in die Normandie. Dort lernt er eine andere Isolde kennen und nun gerät er erst recht in Konflikt mit seinen Gefühlen. Mit diesem Liebeswirrwarr bricht Gottfrieds Versroman ab.

Umstrittene Textstellen

Obwohl Gottfrieds "Tristan und Isold" ein Fragment geblieben ist - es umfasst etwas weniger als 20.000 Verse, vermutlich waren an die 30.000 Verse geplant - gehört dieses Werk zu den großen Liebes- und psychologischen Konfliktromanen der Weltliteratur.

Diese Verse, die Gottfried im "Prolog" niederschreibt, sind pure Sprachmagie. Sie machen einerseits Gottfrieds Erzählung von der Liebe Tristan und Isoldes zur geistigen Lektürenahrung der Hörer und Leser - und damit das Liebespaar unsterblich -, andererseits spielt Gottfried mit der Begriffstrias von "Leben" - "Brot" - "Tod" auf das letze Abendmahl Jesu mit seinen Jüngern an und ganz allgemein auf die Eucharistiefeier. Wenn Jesus das Brot des Lebens ist und damit die Überwindung des Todes ins Spiel kommt, dann gilt das bei Gottfried auch für das Liebespaar Tristan und Isold - wenn auch allegorisch. Das ist ziemlich problematisch, manche mögen es sogar ketzerisch nennen, denn bei den beiden handelt es sich doch um eine illegitime Liebe.

Wer Genaueres über diese kontrovers diskutierte Textstelle wissen möchte, der lese den "Stellenkommentar" der vorliegenden Ausgabe des Deutschen Klassiker Verlages. Band Eins bringt den Gesamttext von Gottfrieds Liebesdrama, Band 2 beinhaltet einen über 500-seitigen Kommentar, der nach Umfang und Intensität eine herausragende Leistung darstellt. Er verarbeitet die sehr umfangreiche und reichhaltige Literatur zum Thema - und zwar Textstelle für Textstelle. Im zweiten Band ist auch der "Tristan"-Text des Thomas d'Angleterre, eines altfranzösischen höfischen Autors, abgedruckt, da sich Gottfried bei seinem Versroman auf diese Vorlage bezieht.

Angenehm moderne Sprache

Die Übersetzung des Textes aus der Feder Gottfrieds stammt vom Mediävisten Walter Haug. Sie nimmt sich die Freiheit, das mittelhochdeutsche Vokabular und die Wortfolge in eine natürlich wirkende Gegenwartssprache zu transponieren und gewinnt dabei durchaus an Verständlichkeit. Zwei Beispiele seien erlaubt. Als zum großen Kampf gegen Morgan, dem Erzfeind von Tristans Vater, aufgerüstet wird, heißt es bei Gottfried:

Oft wird "alle ir state und alle ir craft" mit "alle ihre Möglichkeiten und ihre ganze Macht" oder mit "ihre ganze Heeresmacht und Kraft" übersetzt, Haugs "alles Kriegspotenzial und sämtliche Ressourcen" wirkt dagegen angenehm modern. Bei einer Jagd zeigt Tristan sein Können und spricht darüber mit einem Jäger. Gottfried schreibt:

Übersetzt wird oft verkürzt mit "sprach der wohlerzogene Tristan" oder durch "sagte der höfische Tristan". Haugs Übersetzung bringt die ganze Bandbreite von Gottfrieds Text zur Geltung: Man soll "höfisch", also ruhig auch mit Untergebenen reden, zugleich wird klar, dass genaue Kenntnisse der Jagd zum Wesen eines Ritters gehören.

Insgesamt ist also Gottfried von Strassburgs Versroman "Tristan und Isold" in der Ausgabe des Deutschen Klassiker Verlages eine absolut lohnende Lektüre. Man taucht nicht nur in die Welt eines der größten Liebesromane der Literaturgeschichte ein, sondern man lernt auch besser die Welt des Mittelalters verstehen. Mehr kann man von guter Literatur - und gelungenen Werkeditionen! - nicht erwarten.

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Gottfried von Strassburg, "Tristan und Isold", 2 Bände, Suhrkamp Verlag