Analyse von Peter Michael Lingens
Drogenkrieg
In den 1980er und 1990er Jahren hatte die Kokain-Mafia Kolumbien fest im Griff; sie unterhielt beste Beziehungen zur Politik, bestach die Justiz ebenso wie die Polizei und trug ihre Kämpfe mit Hilfe von Privatarmeen aus. Der mächtigste Mann des Landes war dann auch nicht der jeweilige Staatspräsident, sondern der Boss des Medellin-Kartells: Pablo Escobar.
8. April 2017, 21:58
Escobar gilt bis heute als einer der mächtigsten, rücksichtslosesten und brutalsten Drogenhändler der Geschichte; und er war auch einer der reichsten Männer seiner Zeit. Einmal erklärte er sich bereit, aus seinem Privatvermögen die gesamten kolumbianischen Staatsschulden in Höhe von 10 Milliarden Dollar zu begleichen, wenn man ihn im Gegenzug zum Präsidenten mache.
Für die USA war Pablo Escobar der Staatsfeind Nummer 1. Deshalb unterstützten sie den kolumbianischen Staat im Kampf gegen die Drogen-Kartelle mit allen Mitteln. Kolumbien bekam nach Israel und Ägypten die höchste Auslandshilfe der USA. Insgesamt sollen mehr als 5,7 Milliarden Dollar nach Kolumbien geflossen sein. In den USA war der Drogenbaron verhasst, in seiner Heimat hingegen galt er als Held.
Seltsames Gentlemen's Agreement
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In Medellin wird Escobar bis heute als Wohltäter verehrt. Er ließ ein eigenes, nach ihm benanntes Viertel für Wohnungslose errichten, baute ein Spital, Kirchen und ein Fußballstadion, war der wichtigste Arbeitgeber der Stadt und verteilte gelegentlich Banknoten an die Armen.
1991 stellte sich Escobar den kolumbianischen Behörden. Dabei kam es - wie Peter-Michael Lingens es formuliert - zum "seltsamsten Gentlemen's Agreement der Geschichte". Die Regierung beschloss eine Verfassungsänderung, sodass Escobar nicht an die USA ausgeliefert werden konnte. Er erklärte sich im Gegenzug bereit, die Gewalt zurückzufahren und eine fünfjährige Gefängnisstrafe in einem eigens für ihn errichteten Luxusgefängnis abzusitzen. Dort hatte er Personal, empfing seine Untergebenen und leitet weiterhin das Kartell. Als dieser Skandal öffentlich wurde, beschloss die Polizei, Escobar in ein normales Gefängnis zu überstellen. Daraufhin floh er und wurde am 2. Dezember 1993 von einer US-kolumbianischen Eliteeinheit erschossen.
Schaupatz Mexiko
Die Drogenkartelle spielen in Kolumbien nach wie vor eine wichtige Rolle, aber ihr Einfluss ist zumindest so weit zurückgedrängt, dass sie den Staat nicht mehr beherrschen. Haben die USA also in dem von ihnen ausgerufenen "Krieg gegen die Drogen" den Sieg davongetragen? Mitnichten, meint Peter Michael Lingens. Es hat sich bloß der Schauplatz verlagert. Was früher Kolumbien war, ist heute Mexiko, ein Land, das am Rande des Kollapses steht, das von der Drogenmafia durch und durch infiltriert ist.
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Mexikos Polizei ist in ihrer Gesamtheit korrumpiert - sie ist als Ordnungsmacht im Kampf gegen die Drogen sinnlos geworden. Beamte, die korrekt nach Drogengangstern fahnden, stehen nicht symbolisch, sondern tatsächlich auf der Abschussliste: Die sogenannten Hitlisten werden von den Drogenkartellen meist sogar öffentlich verlautbart, um die entsprechende, abschreckende Wirkung zu entfalten.
Allein im Jahre 2009 sind mehr als 10.000 Mexikaner im "Krieg gegen die Drogen" umgekommen. Seitdem der Krieg im Jahre 2006 von Felipe Calderon offiziell erklärt wurde, sollen bereits mehr als 37.000 Menschen getötet worden sein.
Ein "amerikanischer Krieg"
Auf 15 Milliarden US-Dollar schätzt Lingens den Wert der illegalen Drogen, die jährlich über den Rio Bravo von Mexiko in die USA geschmuggelt werden. Mexiko kämpft im Grunde anstatt der Vereinigten Staaten gegen die Drogenschmuggler. Der "war on drugs", der Krieg gegen die Drogen, den Richard Nixon 1972 ausgerufen hat, sei ein "durch und durch amerikanischer Krieg", schreibt Lingens, einer, der aus einer puritanisch religiösen Überzeugung geführt werde.
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Drogen werden als Versuchung des Teufels angesehen, den Menschen von einem fleißigen, gottgefälligen Leben abzubringen. Sie sind das von außen kommende Gift, das den gesunden Amerikaner zerstört. Daher muss man in erster Linie dieses Gift abwehren, wenn man das starke Amerika bewahren will.
Peter Michael Lingens will mit seinem Buch genau diese moralische Sicht auf die Dinge aufweichen. Man müsse sich damit abfinden, dass es immer Menschen geben werde, die Drogen konsumieren wollen. Zwar möchte Lingens die sogenannten harten Drogen nicht vollkommen legalisieren, weil er meint, es sei hilfreich, den Kontakt zu diesen so weit wie möglich zu verhindern, aber er tritt dafür ein, Drogen wie Kokain oder Heroin in Apotheken abzugeben. Das würde zumindest der Drogenmafia ihre Geschäftsgrundlage nehmen, denn die rigorose Vorgangsweise des amerikanischen Krieges gegen die Drogen habe mehr Schaden als Nutzen angerichtet.
Heroin aus Afghanistan
Nicht nur in Mexiko oder Kolumbien haben die Drogenhersteller de facto die Macht im Staat übernommen, auch in Afghanistan. Das Land ist trotz des jahrelangen Krieges gegen die Taliban heute ein größerer Heroinlieferant als jemals zuvor. 90 Prozent des gesamten weltweiten Heroins kommen aus einem Land, in dem NATO-Truppen stationiert sind, und das mit amerikanischen Milliarden gestützt wird.
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Wenn die Amerikaner demnächst aus Afghanistan abziehen, weil sie außerstande sind, die Taliban zu besiegen, werden sie diese Niederlage nicht zuletzt dem Umstand verdanken, dass die Mohnbauern mehrheitlich ins Lager der Taliban übergewechselt sind.
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Peter Michael Lingens, "Drogenkrieg ohne/mit Ausweg", Verlag Kremayr & Scheriau
Kremayr & Scheriau - Drogenkrieg ohne/mit Ausweg