"Gordos - Die Gewichtigen" im Kino
Niemand ist makellos
Pizza, Eiscreme, Kartoffelchips und Schokolade - wer all das zu seinen Grundnahrungsmitteln macht, wird schon bald ein unheilvolle Nebenwirkung erkennen: Übergewicht. Wie verschieden man damit umgeht und wie manche damit überhaupt nicht umgehen wollen, das zeigt die spanische Tragikomödie "Gordos - Die Gewichtigen".
8. April 2017, 21:58
Kultur aktuell, 10.08.2011
Ein Therapeut mit ungewöhnlichen Methoden, und wenn die Klientel einer Therapiegruppe für Übergewichtige dann nackt vor sich selbst steht, ist das der erste Schritt zur Wahrheit. Doch wie immer, wenn es um wahre Leidenschaften und geheime Sehnsüchte geht, regt sich ein besonderer innerer Widerstand. Diesen aufzubrechen, ist nicht nur das Ziel der Therapie, sondern auch des spanischen Filmemachers Daniel Sanchez Arévalo:
"Das Übergewicht ist in diesem Film eine Metapher für alles, was wir tagtäglich hinunterschlucken müssen, was wir hinnehmen, ohne es zu 'verdauen'. Es geht also nicht nur ums Essen, das uns schwer im Magen liegt."
Subtiler Selbstbetrug
Eine junge Frau, in deren Familie essen seit jeher zur Kompensation dient, eine andere, die ihren Liebeskummer in Eiscreme zu ersticken versucht, ein Familienvater, der, wenn er isst, stets versucht, andere ebenfalls zum essen zu überreden. Der Selbstbetrug und die Selbstüberlistung sind so subtil wie vielfältig. Regisseur Sanchez Arevalo bohrt hinein ins schlechte Gewissen seiner Figuren, in ihre Widersprüche und Schuldgefühle, gestützt auch auf eigene Erfahrungen.
"Ich erinnere mich daran, dass ich mit acht Jahren dachte, übergewichtig zu sein, nur weil ich ein bisschen Fett angesetzt hatte", erinnert sich Arevalo. "Bis heute hat mich diese Besessenheit rund ums Äußere nicht losgelassen. Das ist ziemlich unangenehm und erzeugt Komplexe. Möglich, dass ich jetzt gerade versuche, den Bauch einzuziehen."
Kein Spott und keine Häme
Dass auch der schlanke, gutaussehende Therapeut mit latenter Bauchphobie ausgerechnet von seiner schwangeren Frau sein Fett abbekommt, erhöht den Esprit des Films nochmals.
Regisseur Sanchez Arevalo verteilt weder Spott und Häme noch falsches Mitleid. Niemand ist makellos, und niemand ist hilflos, wenn es um Kalorien und ihre Folgen geht. Erkenntnisse müssen hier schmerzhalft erarbeitet, oder besser gesagt: erfressen werden. In diesem Sinne ist "Gordos” sicherlich kein Leichgewicht.
Textfassung: Ruth Halle