Aufarbeitung tschechischer Geschichte

Der neue Haslinger-Roman

"Jachymov" heißt der neue Roman von Josef Haslinger, der in diesen Tagen in den Buchhandel kommt. Der Autor von so erfolgreichen Büchern wie "Politik der Gefühle", "Opernball" und "Das Vaterspiel" lehrt seit 1996 am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. In "Jachymov" erzählt er die Geschichte des tschechischen Eishockeytorwarts Bohumil Modry.

Modry war als zweifacher Weltmeister ein Sportlerstar seiner Zeit, der vom kommunistischen Regime zu 15 Jahren Haft verurteilt worden war. Am Donnerstag, 11. August 2011, liest Josef Haslinger beim Wiener Literaturfestival o-töne im Museumsquartier erstmals aus seinem Roman.

Kulturjournal, 11.08.2011

Kristina Pfoser im Gespräch mit Josef Haslinger

"Jachymov" ist eine Stadt in Tschechien, im Erzgebirge, angeblich der älteste Radiumsol-Kurort der Welt. Der Name steht aber nicht nur für ein Heilbad, sondern auch für ein Arbeitslager. Anno 1950 wurde Bohumil Modry dorthin deportiert - wegen staatsfeindlicher Umtriebe, wie es hieß. Bohumil Modry war Torwart der tschechischen Eishockey-Nationalmannschaft, als zweifacher Weltmeister ein gefeierter Sportler und er war 47, als er nach jahrelangem Martyrium im Uranbergwerk 1963 an Leukämie gestorben ist, ein Opfer einer stalinistischen Säuberungswelle.

Bohumil Modry ist der Protagonist in Josef Haslingers neuem Roman und er ist keine fiktive Figur. Was Josef Haslinger über ihn erzählt, hat sich tatsächlich zugetragen, seine Biografie steht für die zahlreichen Politopfer in der Tschechoslowakei der Nachkriegszeit.

Es gab Ende der 1940er, Anfang der 1950er Jahre "eine sehr radikale Spielart des Stalinismus in fast allen osteuropäischen Staaten", so Haslinger, "es gab jede Menge Schauprozesse und die tschechoslowakische Eishockey-Mannschaft wurde ein Teil dieser politischen Säuberungen".

Verschränkung von Gegenwart und Vergangenheit

Anno 1988 hat die Tochter von Bohumil Modry, die Schauspielerin Blanka Modra, Josef Haslinger vom Schicksal ihres Vaters erzählt. Mehr als 20 Jahre lang hat er die Geschichte mit sich herumgetragen, bevor er sie jetzt virtuos in einen Roman verwoben hat.

"Es ist immer die Frage: Was geht mich das an?", sagt Haslinger. "Im Fall der österreichischen Geschichte ist das viel einfacher." Mit der tschechischen Geschichte habe er kaum Kontakt, da könne er nicht mit seiner "ewigen notorischen böhmischen Großmutter auffahren", so Haslinger. "Also musste ich mir eine Form überlegen, die diese Verschränkung von Gegenwart und Vergangenheit darstellen kann, die die Relevanz des Vergangenen für die Gegenwart sichtbar machen kann."

Kultur aktuell, 11.08.2011

Europa verstehen lernen

Einen Satz der tschechischen Autorin Radka Denemarkova hat Josef Haslinger seinem Buch vorangestellt: "Sie haben sich von der Räudigkeit der Nazis anstecken lassen, ohne sich dessen bewusst zu sein".

"Dieses System von Lagern, das man da errichtet hat, war tatsächlich den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten regelrecht abgeschaut", sagt Haslinger. "Man hat sogar die gleichen Ausdrücke verwendet. Ein Wort wie 'Appellplatz' hat es im Tschechischen nicht gegeben, aber dieser Appellplatz hieß dann halt 'Appellplatz'."

"Damit die Leute Europa verstehen lernen" heißt es in dem Buch, soll die Lebensgeschichte von Bohumil Modry aufgeschrieben werden.

"Nachdem es diese Osterweiterung der EU gegeben hat, ist es auch unsere Aufgabe, uns mit dieser Geschichte zu befassen", meint Haslinger. "Wenn es zu einer europäischen Verständigung kommen soll, die mehr ist als ein paar ökonomische und außenpolitische Maßnahmen, die man gemeinsam setzt, sondern wenn es wirklich zu einer europäischen Identität kommen soll, kann das nur eine sein, die sozusagen die Geschichte annimmt und gleichsam mit der Geschichte ins Reine kommt."

Textfassung: Ruth Halle

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Josef Haslinger, "Jáchymov", S. Fischer Verlag