Roman von Evelyn Schlag

Die große Freiheit des Ferenc Puskás

"Krankheit, Männer und Schreiben", das seien die Themen, die sie in ihrem Schreiben vordringlich interessierten, hat Evelyn Schlag vor Jahren in einem Interview gesagt. Und tatsächlich hat sich die 1952 in Waidhofen an der Ybbs geborene Autorin seither mit ihren Gedichtbänden, Erzählungen und Romanen einen Namen vor allem als eine sensible Beobachterin gemacht.

So gilt Schlag heute der Leserschaft und der Kritik als eine literarische Expertin für die Liebe und scheint damit abonniert auf ein Thema, das man nur allzu gerne in die Schublade "Frauenliteratur" steckt.

Auseinandersetzung mit der Geschichte Ungarns

Mit dem neuen Roman nun wird jetzt alles ein klein bisschen anders. In ihm unternimmt Schlag nicht nur eine direkte Auseinandersetzung mit der Geschichte, sondern sie tut dies anhand eines Kapitels, das - seltsamerweise - in der österreichischen Literatur bislang kaum eine Rolle gespielt hat, nämlich der Ungarnaufstand im Jahr 1956.

"Die große Freiheit des Ferenc Puskás" nennt sich das Buch, und mit diesem Titel kommt gleich noch ein weiteres Thema ins Spiel, das nicht unbedingt als eine Domäne weiblicher Autorschaft gilt: Mit dem Fußball indes verhält es sich in Schlags Buch ähnlich wie in Peter Handkes "Angst des Tormanns beim Elfmeter", denn auch hier kommt ihm lediglich eine periphere Stellung zu.

Ein Volksheld

Warum also Ferenc Puskás? Als die Unruhen in Ungarn 1956 begannen, hielt der sich mit seinem Verein, Hoved Budapest, gerade im Ausland auf und kehrte nach dessen Niederschlagung nicht mehr in seine Heimat zurück. Auf Druck der Sowjets verhängte die FIFA daraufhin über Puskás eine 18-monatige Sperre, die jedoch an seiner weiteren glanzvollen Karriere (bei Real Madrid) nichts zu ändern vermochte. Bis heute wird Puskás' Name in einem Atemzug mit Pele, Beckenbauer und Cruyff genannt, und in Ungarn wurde und wird der Mann wie ein Volksheld verehrt.

Genau das ist dann auch der Punkt, an dem Schlag literarisch einsetzt. Für die Hauptfigur ihres Buches, den kleinen Laszlo Földesch, genannt Laci, der mit seinen Eltern 1956 nach Österreich flieht, ist Puskás die Leitfigur.

In Österreich hat es der kleine Bub nicht gerade leicht. Auf einen seiner ersten deutschen Aufsätze indes bekommt er trotz aller grammatikalischen Schwächen eine gute Note, weil er das vorgegebene Thema "Ein Held" mit einer Beschreibung eben von Ferenc Puskás emotional genau trifft, in Sätzen wie beispielsweise diesen: "Kleiner Mann mit Bauch vom Bier besiegt alles mit seine linke Bein." – "Frische Königin Elisabeth weint mit ihre Prinzen über größte Niederlage."

Jetzt und vor 50 Jahren

Niederlagen, unterbrochen von nur sehr kleinen Teilerfolgen, steckt in Österreich nach ihrer Flucht die Familie Földesch ein. In dem einen erzählerischen Strang ihres Buches schildert Schlag die Jahre von 1956 bis 1958, in dem anderen tritt der kleine Laci von ehedem 50 Jahre später, also im Jahr 2008, an Menschen heran, mit denen er es damals zu tun hatte. Insgesamt erzeugt diese erzählerische Konstruktion eine ungeheure Spannung, denn nur sukzessive wird klar, was damals in dem kleinen fiktiven Ort Wickendorf eigentlich passiert ist.

Hatte Etelka Földesch, Lacis Mutter also, eine Affäre mit dem Molkereidirektor Weitmann? Oder gab es eine solche Affäre nicht. Welche Rolle spielte in Weitmanns Beziehungsdramen dessen Anwalt, ein gewisser Dr. Görtz aus Wien? Warum ließ Lacis Vater, Pischti genannt und des Deutschen kaum mächtig, die Eskapaden von Etelka, die sich in der neuen Heimat viel wendiger bewegte, so widerstandslos über sich ergehen? Etwa deshalb, weil die Familie Földesch insgesamt von den Arbeitsplätzen abhängig war, die ihnen die Molkerei und das Schloss boten?

Ein Gespenst fürs Herz

Eines Tages liegt Weitmann, der Patriarch der Gegend, jedenfalls tot unter einem Baum, und neben ihm liegt sein Jagdhund. Welche Rolle aber spielt in dem Ganzen die vierjährige Katharina, ein Mädchen, von dem sukzessive klar wird, dass hinter ihr ein Alter Ego der Autorin steckt? Gemeinsam mit ihrer Großmutter, die möglicherweise selbst mit Weitmann ins Bett ging, kam Katharina damals oft auf das Schloss und sah in mittlerer und weitere Ferne den ungarischen Buben spielen: Laci, mit dem ihr Leben auch später nach verflochten sein wird.

Gelungen ist Schlags Buch vor allem auch deshalb, weil die Autorin die beiden Ebenen, auf denen hier erzählt wird, in der Waage hält. Hinter der Darstellung der historischen Ereignisse, dem Aufstand in Ungarn gleichermaßen wie der Situation, in der sich die frisch geflüchtete Familie in Österreich befindet, steckt eine umfangreiche und detaillierte Quellenrecherche. Kurzum: Man nimmt der Autorin, was sie über jene Jahre sagt, vorbehaltlos ab.

Wesentlich geheimnisvoller indes und dabei nicht ohne Humor ist das Auftreten von Laci im Jahr 2008: ein Gespenst, das sich lange am Rand herumdrückt und schließlich doch den Weg in die Herzen findet, ganz so, als handelte es sich bei "Der großen Freiheit des Ferenc Puskás" nicht allein um ein historisches Gerüst, sondern auch und gerade auch um unsere eigene Geschichte.

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Evelyn Schlag, "Die große Freiheit des Ferenc Puskás", Zoslnay Verlag

Hanser Verlage - Die große Freiheit des Ferenc Puskás