Der Kult um die Lampe
Das Glühbirnenbuch
Viele Jahrzehnte lang war sie ein derartig normaler und banaler Alltagsgegenstand, dass sich kaum jemand näher mit ihr beschäftigte. Seit sie vor allem in der EU schrittweise abgebaut wird, entwickelt sich ein regelrechter Kult um die leuchtende Birne, besser bekannt als Glühlampe. Die klare 60-Watt-Birne ist ab 1. September 2011 in der EU verboten.
8. April 2017, 21:58
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Die Einfachheit und Eleganz der Glühlampe ist bis heute unübertroffen: eine Fassung aus Blech, ein glühender Wolframdraht, ein vakuumierter oder mit Schutzgas gefüllter Glaskolben - fertig.
Die Glühbirne behauptet sich seit über hundert Jahren als eines der ältesten noch existierenden Industrieprodukte auf den Weltmärkten. Sie wird in ihrer gegenwärtigen Form seit 1935 unverändert hergestellt. Während ihr Ruf bis vor wenigen Jahren unumstritten war, gilt für ihre Erfindung genau das Gegenteil.
Dichter und Maurerpolier
Zahlreiche helle Köpfe wie die Russen Konn und Lodygin, der Brite Swan und der Deutsch-Amerikaner Göbel entwickelten verschiedene Vor-Formen der Glühlampe. Das entscheidende Patent aber meldete 1880 Thomas Alva Edison an, der Erfinder der Schreibmaschine, des Telegramms, des elektrischen Stuhls und vieler anderer Errungenschaften. Da er auch die meisten Patentprozesse gewann, wird er heute allgemein als Erfinder der Glühlampe anerkannt. Er selbst beschrieb das Geheimnis seines Erfolges so:
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Erfinder müssen Dichter sein, damit sie Phantasie haben können. Um sich geschäftlich durchzusetzen, müssen sie jedoch den praktischen Sinn eines irischen Maurerpoliers und eines jüdischen Maklers entwickeln.
Die Geschichte der Glühlampe ist durchsetzt von vielen dunklen Kapiteln. Zu Weihnachten 1924 etwa trafen sich in Genf die Präsidenten der damals größten Glühbirnenerzeuger General Electric, Tungsram, Osram und andere. Sie gründeten "Phoebus", das erste weltweit agierende Kartell der Geschichte. Ihr Ziel war nicht nur die brüderliche Aufteilung des globalen Marktes und die Standardisierung der Produkte. Sie beschlossen auch die Verkürzung der Lebensdauer von Glühlampen auf 1.000 Stunden, obwohl schon damals eine Lebensdauer von bis zu 5.000 Stunden technisch möglich gewesen wäre. Darüber hinaus wurden in Gegenden, in denen Nicht-Kartellfirmen einen höheren Markanteil als Kartellfirmen hatten, so lange Billigstbirnen verkauft, bis die Konkurrenz kapitulieren musste.
Fragwürdige Fakten
Stecken hinter der EU-Entscheidung, stufenweise Herstellungs- und Vertriebsverbote von Lampen geringer Energieeffizienz in den Mitgliedsländern umzusetzen, ebenfalls Forderungen der Industrie und weniger Sorgen um den Klimawandel? Seit der Veröffentlichung des Verbots 2008 wird vor allem in Internetforen der Streit um die Vor- und Nachteile von Glüh- und Energiesparlampen heftig diskutiert.
Auch wenn man kein Anhänger von Verschwörungstheorien ist, müssen einem zahlreiche Fakten äußerst fragwürdig erscheinen. Ein Beispiel: Quecksilber ist eine der giftigsten Substanzen, die es gibt. Die Herstellung und der Export sind in der EU verboten. Eine Ausnahme: die Lampenindustrie. Warum ist es der EU scheinbar egal, dass mit dem in Energiesparlampen enthaltenen Quecksilber tonnenweise Gift in europäische Haushalte verteilt wird?
Außerdem fragen sich nach wie vor viele, warum ausgerechnet bei der Beleuchtung mit derartiger Vehemenz Einsparungen verordnet werden. Handelt es sich doch um einen lächerlich kleinen Bereich des gesamten Energieverbrauchs.
Kuba ist anders
Da freut man sich fast schon, dass von Seiten der EU-Behörden nicht ganz so strikt vorgegangen wird wie in Kuba. Der karibische Inselstaat war das erste Land der Welt, in dem Glühbirnen verboten wurden. Ein hartnäckiges Gerücht besagt, dass Fidel Castro von der Firma Osram persönlich beraten wurde.
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Als 2005 die erste Lieferung mit Energiesparlampen eintraf, gingen junge Männer, ausgerüstet mit einem Sack voller Sparlampen, einem Baseballschläger und einem Kübel, von Haus zu Haus, drehten die Glühbirnen aus den Fassungen, zerstampften sie mit dem Baseballschläger, schraubten Sparlampen ein und zogen weiter. Zwei Monate später wurde der Strompreis um 200 Prozent erhöht.
Für jeden etwas
"Das Glühbirnenbuch" hat für jeden Geschmack etwas zu bieten. Der wirtschaftlich interessierte Leser wird sich über den vielseitigen Abriss "Kritik der technischen Ökonomie" freuen, der sich mit dem Duell der beiden "yankee engineers" Sir Hiram Stevens Maxim und Thomas Alva Edison beschäftigt. Oder aber über mehrere Beiträge zum Thema Kartelle.
Der Technikfan wiederum findet ein Interview mit dem deutschen Erfinder Dieter Binninger über dessen Geistesblitz die "Ewigkeitsglühlampe". Für den historisch Interessierten gibt es unter anderem eine Reportage über die Brigade "Kosmos" im ehemaligen Ostberliner Glühlampenwerk "Narva".
Der literarisch Geneigte schließlich wird mit Kurzgeschichten von Max Goldt, Thomas Pynchon und Wladimir Kaminer versorgt. Letzterer schreibt über die Bedeutung der Glühlampe für die Russische Revolution Folgendes:
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Die Glühbirne, die laut Lenins Plan in jedes Dorf und in jedes Haus reingedreht werden sollte, wurde zur Ikone der neuen Zeit. Die glühenden Augen der Revolution, die immer und überall anwesend waren. Deswegen wurde die Glühbirne auch "Iljitschs Lämpchen" genannt. Das Licht, das sie ausstrahlte, musste gleichzeitig blenden und erleuchten - wie jede andere totale Macht wollte auch die sowjetische streng, aber gerecht sein.
Von allen Seiten beleuchtet
Die Glühbirne wird in all ihren Facetten beleuchtet: als physikalisches Wunder ebenso, wie als serieller Standard im Zeitalter der Massenproduktion. Als Kultobjekt für Designer, Lichtphilosophen und alle anderen Menschen, die ein gutes und bewährtes Produkt aus nicht nachvollziehbaren Gründen eintauschen sollen gegen eines, das die Herzen noch lange nicht erwärmt hat. Und dies vielleicht auch nie tun wird.
Natürlich sind hier Autoren, Erfinder und Ästheten mit einer einseitig brennenden Obsession am Werk. Doch solange die Produkte und Argumente der "Sparlampenfraktion" nicht besser werden, wird wohl niemand ein ähnlich glühendes Plädoyer über die blassen Nachfolger der Glühlampe schreiben.
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Die Industrie will verdienen, die Lobbyisten glauben ihrer eigenen Propaganda, die meisten Politiker schauen, woher der Wind weht, und eine Handvoll Idealisten versucht, sich dem kollektiven Irrsinn entgegen zu stellen.
Dieses Zitat stammt von Moritz Gieselmann, der gemeinsam mit Christoph Mayr den Film "Bulb Fiction" dreht. Die kritische Dokumentation über das Ende der Glühlampe wird voraussichtlich im September im Kino zu sehen sein.
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Peter Berz, Helmut Höge, Markus Krajewski (Hg.), "Das Glühbirnenbuch", Braumüller Lesethek
Braumüller - Das Glühbirnenbuch