Ein Künstler, der aus dem Rahmen fällt

Jan Svankmajer in der Kunsthalle

Jan Svankmajer ist ein großer tschechischer Filmemacher und Künstler. In Westeuropa war er lange Zeit eher ein Geheimtipp unter Cineasten. Seit den 1980er Jahren ist er vor allem mit seinen bizarren Animationsfilmen immer bekannter geworden. Zu seinem Werk gehören auch Collagen und Skulpturen. Die Kunsthalle Wien eröffnete am Mittwoch, 7. September 2011 eine Ausstellung zu diesem aus dem Rahmen fallenden Künstler.

Kultur aktuell, 07.09.2011

Service

"Das Kabinett des Jan Svankmajer", bis 2. Oktober 2011, Kunsthalle Wien,
Ö1 Club-Mitglieder bekommen ermäßigten Eintritt (zehn Prozent).

Kunsthalle Wien

Gegenstände in Bewegung

In Jan Svankmajers Animationsfilmen werden nicht Zeichnungen in Bewegung gesetzt, sondern Gegenstände. In dem Film "Dimensionen des Dialogs" versuchen zwei Glatzköpfe aus feuchtem Lehm, sich vernünftig zu verständigen. Zunächst klappt das. Aus dem linken Mund flutscht eine Zahnbürste. Aus dem rechten eine Zahnpastatube, die Pasta auf die Zahnbürste des Anderen drückt. Dann: Im rechten Mund ein Stück Brot, im linken das Messer, das Butter darauf streicht. Dann rechts ein Bleistift, links der Spitzer.

So weit, so sinnvoll. Doch bald läuft der Dialog aus dem Ruder. Die Zahnpasta mischt sich mit der Butter zur ekligen Sauce. Zwei Bleistiftspitzer spitzen einander zu Metallspänen herunter.

Surreale Darstellung realer Probleme

Der Film ist jederzeit und überall anwendbar, auf die Unfähigkeit, Dinge miteinander konstruktiv zu verhandeln; ob in Politik oder Privatleben. Jan Svankmajer ist eben Spezialist für die surreale Darstellung realer Probleme.

"Im Gegensatz zu realistischen Werken ist das Phantastische immer neu interpretierbar", so der Künstler. "Es altert langsamer, weil es mit immer neuen Bedeutungen aufgeladen wird - anders als realistische Filme, die immer nur ein Bild der Gegenwart darstellen."

Grausames und Verdrängtes

Das Verdrängte, Anrüchige und Grausame klettert bei Svankmajer in Form blutiger Steaks die Wände hoch, sitzt als feuchter, rosiger Penis auf einer Parkbank, oder jagt als riesige schwarze Katze ein kleines Mädchen durch einen Kellergang.

"Ich gehe von meinen eigenen Urängsten, Obsessionen und Kindheitserinnerungen aus", erläutert Svankmajer. "In dem Film 'In den Keller' verarbeite ich ein Kindheitstrauma: Da wurde ich öfters von meiner Mutter in den Keller geschickt, um Kartoffeln oder Kohle zu holen, und das war für mich immer ein schreckliches Erlebnis. Bis heute kann ich nicht sorglos in den Keller gehen."

Freiheit und Freiheitsberaubung

Der kurze Horrorfilm "Die Grube, das Pendel und die Hoffnung" frei nach Edgar Allan Poe führt in düsterem Schwarzweiß in die Folterkeller der Inquisition.

Freiheit und Freiheitsberaubung ist ein Kernthema im Werk dieses Künstlers, der Prag nie verlassen hat und nach dem Prager Frühling sieben Jahre lang keine Filme drehen durfte: "Ich werde öfter gefragt, ob ich meine Themen nach der Wende 1989 verändert habe. Aber ich glaube, dass eigentlich die ganze Zivilisation krank ist. Dass wir uns selbst krank machen. Und deswegen sind meine Themen nicht anders geworden."

Souveräne Abrechnung mit der Wirklichkeit

Auch einige Spielfilme Svankmajers sollen während der Laufzeit der Ausstellung je einmal vorgeführt werden. Sein brisantester, auch ihm der liebste, ist leider nicht dabei: "Sileni" aus dem Jahr 2005. In dieser Filmparabel nach de Sade haben Insassen eines altmodischen Irrenhauses kurz einmal Narrenfreiheit: Sie haben revoltiert und die Ärzte eingesperrt. Doch die brechen aus und stellen mit fürchterlichsten Methoden die alte Ordnung wieder her.

Jan Svankmaier hat nichts dagegen, dass dieser buchstäblich schrecklich wahre Film auch auf Freiheitsbeschränkungen seit 9/11 bezogen wird. Svankmajers Werk ist eine fortlaufende Abrechnung mit der Wirklichkeit - abgründig, ironisch und souverän.