Ein Kronzeuge der 'Ndrangheta packt aus
Metastasen
"Metastasen. Ein Kronzeuge der 'Ndrangheta enthüllt die Geheimnisse des größten Familienunternehmens der Welt" lautet der Titel eines in Italien vielbeachteten Buches. Als Co-Autoren zeichnen Claudio Antonelli und Gianluigi Nuzzi, der schon mit seinem Buch "Vatikan AG" für Furore sorgte.
8. April 2017, 21:58
Sie gilt als eine der mächtigsten aller Mafia-Ableger: die 'Ndrangheta. Ursprünglich in den Bergregionen Kalabriens beheimatet, soll sich das Verbrecher-Kartell - einem Krebsgeschwür gleich - schon längst in den Wirtschaftsmetropolen Italiens breit gemacht haben. Zu seinen wichtigsten Einnahmequellen zählen Erpressung, Waffenhandel und Drogenschmuggel. Als Spezialgebiet der 'Ndrangheta gilt der Handel mit Kokain. Immer öfter aber haben die kalabrischen Mafiosi auch bei seriösen Geschäften ihre Hände im Spiel, sagt Buchautor Gianluigi Nuzzi:
"Das Geld wird in verschiedenen Wirtschaftszweigen gewaschen, vor allem am Immobilienmarkt. Investiert wird aber auch in Geschäfte, Restaurants, Discotheken. Die 'Ndrangheta ist außerdem in der Zementverarbeitungsbranche und im Bauwesen tätig. Aber wir haben auch Tätigkeiten auf einem ganz anderen Niveau, etwa den internationalen Aktienmärkten. Internationale Institutionen wie Weltbank und Internationaler Währungsfonds schätzen, dass vier bis fünf Prozent aller Aktivitäten auf dem Finanzmarkt niemandem zuzuordnen sind. In Italien geht man davon aus, dass die Geschäftstätigkeit der 'Ndrangheta und der sizilianischen Cosa Nostra gemeinsam inzwischen schon einige Prozentpunkte des Bruttoinlandsproduktes ausmachen."
Das größte Verbrechersyndikat Italiens
Die 'Ndrangheta stellt heute eine wahre Wirtschaftsmacht dar. Auf bis zu 70 Milliarden Euro schätzt Gianluigi Nuzzi den jährlichen Umsatz des Mafia-Kartells. Trotz der Machtfülle in norditalienischen Metropolen wie etwa Mailand wurde der Einfluss der kalabrischen Mafia dort lange Zeit unterschätzt.
"Die 'Ndrangheta hat nie die gleiche Aufmerksamkeit erfahren wie die Cosa Nostra", sagt Nuzzi. "Das liegt vor allem daran, dass die Aktivitäten der 'Ndrangheta nie so sichtbar waren. Ich denke da jetzt an Attentate, an die Ermordung von Richtern und Staatsanwälten, wie wir sie seit dem Zweiten Weltkrieg bis in die 1980er, 90er Jahre auf Sizilien hatten."
So konnte die 'Ndrangheta im Schatten der sizilianischen Cosa Nostra und der Camorra, der neapolitanischen Mafia, zum größten Verbrechersyndikat Italiens wachsen. Anders als die bekannteren Mafia-Organisationen beruht die 'Ndrangheta vor allem auf Blutsverwandtschaft - Schweigen ist die oberste Pflicht und Aussteiger, die sich der Polizei als Kronzeugen zur Verfügung stellen, gibt es so gut wie keine.
Das Innenleben der Organisation
In seinem Buch "Metastasen" wolle er vor allem die Mentalität beschreiben, die die 'Ndrangheta groß gemacht hat, sagt Gianluigi Nuzzi. Er und Co-Autor Claudio Antonelli zitieren in ihrem Buch deshalb ausgiebig Giuseppe di Bella. Der 'Ndrangheta-Aussteiger galt jahrelang als rechte Hand des mächtigen Mafia-Bosses Franco Coco Trovato. In "Metastasen" erzählt der Ex-Mafioso detailreich über den Alltag in der 'Ndrangheta, schildert auch ungeschönt seine eigenen Taten.
Nach seiner Verhaftung wurde Di Bella zu einem der wenigen Kronzeugen, die bereit waren, über die Machenschaften der 'Ndrangheta auszusagen. Jahre später, vor dem Mikrofon der beiden Journalisten Nuzzi und Antonelli, ging Di Bella noch weiter und nannte Hintermänner, die dem Staatsanwalt bis dahin nicht bekannt waren.
"Weil meine Frau immer versucht hat mich auf den rechten Weg zurückzubringen", begründet Di Bella diesen Schritt. "Ich hatte ihr versprochen, da raus zu kommen. Als sie erkrankte, habe ich ihr versprochen, ganz auszusteigen." Giuseppe di Bellas Frau ist inzwischen an Krebs gestorben, Di Bella selbst lebt mit seinem Sohn unter falschem Namen an einem unbekannten Ort. Mehr als hundert seiner Mafia-Brüder soll Di Bella hinter Gitter gebracht haben.
Dass er als Kronzeuge über das Innenleben der Mafia-Organisation ausgesagt hat, kann ihn das Leben kosten. Zur Buchpräsentation in einem italienischen Nobel-Restaurant in Berlin reiste der Mafia-Aussteiger deshalb mit Personenschutz an. "Meine Zukunft sehe ich so: Irgendwann werden sie mich dafür bezahlen lassen, was ich erzählt habe und noch erzähle", so Di Bella.
Brisante Thesen
Ein Buch über die Machenschaften der Mafia zu schreiben, kann auch für Gianluigi Nuzzi gefährlich werden. Seine Thesen sind brisant: So sollen auch die Namen zahlreicher Anwälte, Politiker und Wirtschaftskapitäne auf den Gehaltslisten der 'Ndrangheta stehen. Auch der vor einigen Jahren ermordete Modeschöpfer Gianni Versace wird in "Metastasen" in die Nähe des Mafia-Kartells gerückt - eine Behauptung, die von seinen Erben bestritten wird.
In Italien verspricht "Metastasi", so der Originaltitel, ein Bestseller zu werden - ähnlich wie Gianluigi Nuzzis Aufdecker-Buch "Vatikan AG", in dem der Journalist dem Schmiergeld nachforschte, das durch die Vatikanbank geschleust worden sein soll. Nach den Enthüllungen mussten einige der vatikanischen Finanzjongleure die Bank verlassen. Von "Metastasen" erhofft sich Gianluigi Nuzzi einen ähnlichen Effekt:
"Ich bin insgesamt sehr zufrieden, wie das Buch in Italien aufgenommen wurde. Noch nie wurde ein Buch über die 'Ndrangheta in Italien so oft verkauft wie unseres. Die Auflage beträgt 100.000 Stück. Das hat damit zu tun, dass man gegenüber dem Phänomen 'Ndrangheta aufmerksamer geworden ist."
Auch in Österreich aktiv
Mittlerweile agiert die 'Ndrangheta weit über die Grenzen Italiens hinaus. In der deutschen Übersetzung von "Metastasi" ist deshalb ein Kapitel den Machenschaften der 'Ndrangheta in Deutschland, der Schweiz und Österreich gewidmet. In ihm beschreibt der deutsche Mafia-Experte und "Spiegel"-Redakteur Andreas Ulrich eindringlich, wie unbehelligt sich die Mafia außerhalb Italiens bewegen kann. Gerade Wien gilt als einer der wichtigsten Knotenpunkte des Waffenhandels, sagt Gianluigi Nuzzi:
"Österreich und gerade Wien haben eine geografisch sehr günstige Position, wo sich die Interessen von Käufern und Verkäufern treffen. Die Verkäufer sind diejenigen, die Zugang haben zu den Waffen des ehemaligen Warschauer Paktes. Mehr kann ich dazu nicht sagen, denn es bezieht sich auf laufende Ermittlungen. Um nochmals auf Österreich zurückzukommen: hier gilt nach wie vor das Bankgeheimnis. Einige Gesetze wurden schon reformiert, aber wir sehen aus allen Untersuchungen, dass hier Geldwäsche im größeren Umfang betrieben wird."
Gianluigi Nuzzi gilt als akribischer Rechercheur. "Metastasen" darf also als harte Faktensammlung gelten. Das Buch ist eine spannende Mischung aus persönlichen Erlebnisberichten des Kronzeugen Di Bella und etwas reißerisch präsentierten Hintergrundinformationen - ein Buch, das auch in Österreich für Diskussionen sorgen wird.
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Gianluigi Nuzzi, Claudio Antonelli, "Metastasen. Ein Kronzeuge der 'Ndrangheta enthüllt die Geheimnisse des größten Familienunternehmens der Welt", aus dem Italienischen übersetzt von Elisabeth Liebl, Ecowin Verlag
Ecowin - Metastasen