Wie das Internet unser Liebesleben verändert

Sex@amour

Der österreichische Autor Daniel Glattauer führte in seinen beiden Erfolgsromanen "Gut gegen Nordwind" und "Alle sieben Wellen" das Internet-Liebespaar Emmi und Leo in die Literatur ein. Was Emmi und Leo bei Glattauer fiktiv erleben, das hat der französische Soziologe Jean-Claude Kaufmann sich zum wissenschaftlichen Thema gemacht: die Liebe in Zeiten des Internets.

Liebesbeziehungen sind Jean-Claude Kaufmanns Spezialgebiet, dem er sich aus unterschiedlichen Perspektiven nähert. Seine Bücher "Kochende Leidenschaft", "Singlefrau und Märchenprinz" und "Was sich liebt, das nervt sich" wurden auch in der deutschen Übersetzung zu Bestsellern. Jetzt hat Jean-Claude Kaufmann das Internet unter die Lupe genommen. In "Sex@amour. Wie das Internet das Liebesleben verändert" geht Kaufmann auf eine soziologische Studienreise in die Blogs, Foren und Seitensprungbörsen.

Flirt mit Zuschauern

Marion hat getwittert: "Ich suche einen Kerl." Es hagelt Antworten von Männern. Viele wollen Marion gleich treffen. Die originellste Antwort aus der Nachrichten-Flut ist jene von UnMec - ein Kerl, also. Er widmet Marion sogleich einen eigenen Blog: "UnMec pour Marion". Die beiden flirten digital, der jeweilige Freundeskreis nimmt im Internet Anteil an dem gegenseitigen Näherkommen. Leser geben Ratschläge und kommentieren die Kommunikation der Liebenden in spe. Das tatsächliche Treffen von Marion und UnMec soll an einem Freitagabend stattfinden. Im Blog wird es online genau durchgeplant.

Der erste Kuss, der dem Treffen entspringt, wird danach im Netz diskutiert werden. Damit jedoch endet die Romanze in 2.0, weiteres geben Marion und UnMec nicht der Öffentlichkeit preis.

Drei verschiedene Typen

Der Soziologe Jean-Claude Kaufmann findet im Internet drei Gruppen von Liebe-und-Sex-Suchenden: diejenigen, die sich erst online austauschen und sich dann auch tatsächlich treffen. Bei gegenseitigem Gefallen möchten sie mehr.

Gruppe zwei sind die, die nur die reale Begegnung im Sinn haben. Diese Begegnung ist oft auf das rein Sexuelle beschränkt. Solche Internet-Schürzenjäger lügen online oft auf Biegen und Brechen, nur um an ihr klar definiertes Ziel zu gelangen.

Gruppe drei sind laut Kaufmann die "Netzabenteurer": Sie versuchen ihre Gefühle aus der Distanz zu spüren, gehen mit der Wahrheit so weit wie möglich, belassen dabei aber ihre Online-Beziehungen immer im Netz.

Verabredungsflops

Viele Internet-Beziehungen schaffen den Sprung in das "First-Life" nicht. Ein großer Prozentsatz der Probanden wird bei der ersten Verabredung versetzt. So wie Christophe. Die Handynummer der Frau, die im Restaurant nicht auftaucht, hat er nicht. Sein eigenes Mobiltelefon will und will nicht klingeln. Christophe hat immer noch den bitteren Geschmack der Einsamkeit im Mund, wenn er an diese Situation zurückdenkt.

Auch Frogita ist mit ihrer Internet-Bekanntschaft verabredet. Sie wartet bei Wind und Wetter vergeblich in einem Park. Erst am nächsten Tag bekommt sie per Email die Botschaft: "Ich habe unsere Verabredung verschlafen." - Eine Verabredung um 14 Uhr, wohlgemerkt!

Die Gebote des Internets

Jean-Claude Kaufmann hat das Netz genau studiert. Aus seinem Buch ist vieles zu erfahren über die Gebote des Mediums Internet. Der Autor analysiert den Fluch der Bilder, die potenzielle Partner anlocken sollen, und die oft doch nur eine weitere virtuelle Ebene einführen. Sehr schlüssig sind vor allem die unzähligen Beispiele von Begegnungen, die Kaufmann online gesammelt hat.

Aufschlussreich sind Betrachtungen über den historischen Wandel der zwischenmenschlichen Gefühlswelt. Das Zeremoniell der höfischen Liebe revolutionierte im 12. Jahrhundert das Gefühl zweier Menschen zueinander und übte einen langanhaltenden Einfluss auf die Entwicklung der Sitten aus. Heute sind wir mitten in einem Prozess der Gleichberechtigung.

Die Kultur der Liebe

Jean-Claude Kaufmann ist ein Chronist des Alltags. Seine Stärke ist die Leichtigkeit, mit der er genaue Beobachtungen und fundierte Recherchen weitergibt. Kaufmann schreibt in der Sprache des von ihm betrachteten Ausschnitts aus der Wirklichkeit und löst die oft unangenehme Distanz zwischen dem Wissenschaftler und seinem Gegenstand auf.

"Sex@amour" ist ein scharfsinniger Beitrag zur Media-Literacy in Sachen Liebe und Sex. Das Buch liefert nicht nur viele Anhaltspunkte für alle, die im Internet daten, sondern es ist viel weiter gefasst – als eine hochaktuelle Studie über die Kultur von Liebe und Sex.

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Jean-Claude Kaufmann, "Sex@amour. Wie das Internet unser Liebesleben verändert", Verlag UVK

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