"Hauntings" in Graz

Kommunikation mit Toten

"Zweite Welten" ist das Leitmotiv beim heurigen steirischen herbst und in der Ausstellung "Hauntings" ("Heimsuchungen") geht es um das Eindringen oft ganz realer Gespenster in die Gegenwart. Mit Gespenstern sind aber keine fantastischen Gruselgestalten gemeint, sondern Schatten und Spuren der Vergangenheit, die nie ganz verarbeitet wurden und deshalb immer wiederkehren.

Die Kuratoren Thomas Edlinger und Christian Höller haben für ihre Ausstellung im Kunstverein Medienturm in allen künstlerischen Genres nach solchen Gespenstern gesucht und sind auf unterschiedlichste Weise fündig geworden.

Kultur aktuell, 27.09.2011

Schallwellen-Suche

Auf die Suche nach den Geistern von Paris haben sich die Künstler Mike Kelly und Scanner gemacht. In den ehemaligen Wohnungen des Dadaisten Tristan Tzara, der Chansonsängerin Edith Piaf und des Rock-Musikers Jim Morrison haben sie ihr Aufnahmeequipment aufgebaut, mit dem Ziel, die zwischen den Wänden möglicherweise immer noch schwingenden Schallwellen einzufangen.

"Sie haben sozusagen den Genius loci, wie er sich digital abgebildet hat, aufgegriffen und damit gespielt, dass ein Musiker aus der Vergangenheit, oder dessen Wirken, wenn man die entsprechenden Detektoren hat, auch heute noch dort registrierbar ist", erzählt Kurator Christian Höller. Ihre aus diesen Soundschnipseln gebaute Komposition stellt eine Hommage an Konstantin Raudive dar, einen der Pioniere der parapsychologischen Stimmenforschung.

Unhörbare Geisterwelt

Dieser lettische Wissenschaftler hatte sich in den 1960er und 1970er Jahren eingehend dem elektronischen Stimmphänomen gewidmet. In zwei Büchern befasste er sich mit der bisher unhörbaren Geisterwelt und der Kommunikation mit den Toten.

Daneben gab er auch Schallplatten heraus, auf denen die Geisterstimmen inklusive Erklärungen zu hören waren. Einmal kontaktierte Doktor Raudive da etwa den Geist des russischen Dichters Wladimir Majakowski, der bekannt war für seine provokante Haltung. Raudive erzählte Majakowski in dieser Sitzung, wie schwierig es sei, die Menschen von der Existenz der Stimmphänomene zu überzeugen. In der Ausstellung ist Majakowskis Antwort zu hören.

Keine Nostalgiker

Trotz einer derart intensiven Beschäftigung mit der Vergangenheit dürften Hauntologen aber nicht mit romantisch verklärten Nostalgikern verwechselt werden, so Kurator Höller: "Hauntology ist gewissermaßen ein Gegenbegriff zu Retro, wo Retro versucht hat, frühere Zeiten eins zu eins zu reproduzieren, versuchen die Hauntologen eher das zu bearbeiten, was aus der Vergangenheit echohaft nachhallt, das, was uns nicht los lässt, uns nicht aus dem Geist geht."

Da verwundert es nicht, dass gerade der Begründer des Dekonstruktivismus, dem es um die Entmystifizierung der Phänomene ging, den Begriff Hauntology geprägt hat: "Hauntology ist eigentlich ein von Jacques Derrida geprägter Begriff, der eigentlich aus seiner Bearbeitung des 'Gespenst' des Marxismus herrührt und der die Präsenz von etwas Nicht-vergehen-Wollenden beschreibt", erzählt Kurator Thomas Edlinger und zeigt auf drei großformatige Fotografien auf der anderen Seite des Raumes.

Folterhaus

Aus verschiedenen Blickwinkeln ist da die direkt am Meer gelegene Ruine eines einst herrschaftlichen Hauses zu sehen. Die vormals schönbrunnergelbe Fassade ist abgebröckelt, die Fenster sind alle herausgebrochen: "Darin haben angeblich Folterungen im algerischen Unabhängigkeitskrieg stattgefunden. Danach sind dann verschiedene Leute eingezogen, haben es aber auf Grund der Gerüchte, die um dieses Haus zirkulierten, nicht lange ausgehalten. Dieses Haus steht jetzt leer an der Küste und ist ein auf eine Realität verweisendes Monument grauenhafter Vorgänge, die sich in der Vergangenheit tatsächlich zugetragen haben."

Voodoo-Zauber gegen Bush

Auf realpolitische Weise hat sich die mexikanische Künstlerin Minerva Cuevas der Geister bedient. Aus einem von ihr gestalteten Grammophon dringen sonore Trommelklänge. Cuevas hat dafür gesorgt, so Edlinger, dass George W. Bush die Geister, die er rief, nicht mehr loswurde: "Wenn man sich so eine Arbeit von Cuevas ansieht, wo's darum geht, dass sie ghanaische Voodoo-Trommler beauftragt hat, 2004 einen Fluch gegen George W. Bush zu trommeln, dann ist natürlich klar, dass dieser Fluch nicht tatsächlich Bush aus dem Amt gejagt hat. Aber es ist trotzdem auch ein Kommentar über den Irrationalismus der vermeintlich rationalen Bush-Administration, die selbst, um den Krieg in Afghanistan und im Irak zu legitimieren, von einer 'Achse des Bösen' gesprochen hat."

Eine Zweite Welt der besonderen Art wird hier also im Kunstverein Medienturm präsentiert. Wer sich an ihrer möglichen oder unmöglichen Realität stößt, der sei auf den Begründer der analytischen Psychologie Carl Gustav Jung und seine Definition der Wirklichkeit verwiesen. Der hat nämlich den Nagel auf den Kopf getroffen, als er einmal ganz lapidar gemeint hat, dass alles wirklich ist, was wirkt.

Textfassung: Rainer Elstner

Service

"Hauntings", bis 17. Dezember 2011, Kunstverein Medienturm

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