Wirtschaftsoper der Toxic Dreams

Collapsonomics

Immer mehr Künstlerinnen und Künstler beschäftigen sich in ihren Arbeiten mit der anhaltenden Finanz- und Wirtschaftskrise. Auch die österreichische Theatergruppe Toxic Dreams fokussiert in ihrer neuen Produktion im Wiener brut dieses globale Desaster.

Kulturjournal, 20.10.2011

Kann der Staat die am Boden liegende Wirtschaft reparieren - und soll er es? Die Frage, die aktuell wie nie die politischen Diskussionen bestimmt, hat vor über 80 Jahren schon Hayek und Keynes beschäftigt. Ja, der Staat soll und muss eingreifen, meinte Keynes, britischer Vater der modernen Nationalökonomie, nein. der Staat soll sich raushalten, der Markt wird sich selbst regulieren, meinte Hayek, österreichischer Pionier der Geldtheorie und Verfechter des liberalen Denkens. In der Talkshowkulisse sitzen sich die beiden intellektuellen Gegenspieler gegenüber - als Diddeldum und Diddeldei der modernen Ökonomie, wie sie der Moderator bezeichnet.

Zwei Gegenpole

"Collapsonomics" ist Teil des politischen Zyklus', den die Gruppe Toxic Dreams rund um Regisseur Yosi Wanunu entwickelt hat. Das Thema Wirtschaft lag nahe. Die reine Theorie habe ihn mehr interessiert als die Persönlichkeiten von Hayek und Keynes, sagt er. Und weil man Ideen und Philosophien schwer über Charaktere vermitteln könne, habe er die direkte Gegenüberstellung gewählt, so Wanunu:

"Ich wollte etwas machen über die Debatte, die jetzt gerade wieder geführt wird, über den reinen Kapitalismus und Sozialismus. Die Idee war, zwei Denker auszuwählen, die diese beiden Pole repräsentieren. Hayek, als einer der Väter des Kapitalismus, steht immer ein wenig im Schatten von Milton Friedman, und vielen ist gar nicht bewusst, wie viele Ideen zum freien Markt, dieser Mann aus Österreich geliefert hat."

"Keynes ist für staatliche Interventionen", fährt Wanunu fort. "Seine Lösung für die große Weltwirtschaftskrise war, dass der Staat mehr Geld in den Markt pumpen soll. Wenn der Staat mehr Jobs kreiert, werden die Menschen wieder mehr kaufen können und die Wirtschaft wird wieder funktionieren. Obama beispielsweise geht diesen Keynes'schen Weg. Hayek vertritt eher das, was die Tea Party und manche Kräfte in Europa fordern: dass der Staat so wenig wie möglich eingreifen sollte, damit sich der freie Markt und der private Sektor selbst regulieren und wir alle reich werden."

"Welche Art von Gesellschaft wollen wir?"

Yosi Wanunu lässt keinen Zweifel aufkommen, wo seine Präferenzen liegen - als Künstler in Europa bevorzuge er den Wohlfahrtsstaat. Für ihn geht es aber um eine grundsätzliche Debatte, der man sich in Europa gerade jetzt wieder stellen müsse:

"Es geht nicht mehr um Fragen wie Steuern und Schuldenerlässe, die Frage muss tiefer zielen: Welche Art von Gesellschaft wollen wir? Wollen wir füreinander Verantwortung tragen, wollen wir miteinander und mit den anderen Ländern solidarisch sein, oder wollen wir jeden sich selbst überlassen, die Armen arm leben und sterben lassen? Das ist wirkliche die grundlegende Frage."

Um die graue Theorie dann doch etwas sinnlich zu gestalten, gibt es auf der Bühne selbstspielende Klaviere und witzige Computersimulationen von Politikern, die die jeweilige Denkschule auf ihre Weise vertreten, etwa Margret Thatcher, Ronald Reagan und Bruno Kreisky.

Komplexes Thema

Die schwierige Aufgabe, 60 Seiten Theorie zu vertonen, hatte Komponist Michael Strohmann. Er hat für Alexander Mayr und die Sopranistin Jeannie Mayer Solopartien als Hayek und Keynes geschaffen. Und dann gibt es noch den unsichtbaren Dictionary Scrutinizer, der wie ein Deus ex machina ins Spiel eingreift. Der sogenannte Wörterbuchprüfer löscht unangenehme Wörter wie Rezession, Armut oder Wirtschaftskrise einfach aus.

In einer sehr oberflächlich gewordenen Welt, werde es gerade für das Theater immer wichtiger, sich komplexeren Themen zu widmen und in die Tiefe zu gehen, sind sich die Gruppenmitglieder von Toxic Dreams einig. Das aktuelle Stück bietet diese Möglichkeit, denn ohne Zweifel ist das Thema komplex. Aber ob eine Oper dann wirklich das geeignete Medium ist, in tiefere Schichten vorzudringen und über Kapitalismus und Sozialismus neue grundlegende Erkenntnisse zu schaffen, das bleibt dahingestellt.

Service

Toxic Dreams, "Collapsonomics", 20. bis 25. Oktober 2011, brut Wien,
Ö1 Club-Mitglieder bekommen ermäßigten Eintritt (40 Prozent).

Toxic Dreams
brut Wien - Collapsonomics