Gedenkstätte Berlin Hohenschönhausen
Deutsche Vergangenheitsbewältigung
Auf dem Gelände der früheren zentralen Untersuchungshaftanstalt des Ministeriums für Staatssicherheit befindet sich seit 1994 eine Gedenkstätte. Diese Gedenkstätte hat die gesetzliche Aufgabe, die Geschichte der Haftanstalt Hohenschönhausen in den Jahren 1945 bis 1989 zu erforschen.
8. April 2017, 21:58
Ausstellungen, Veranstaltungen und Publikationen sollen informieren und zur Auseinandersetzung mit den Formen und Folgen politischer Verfolgung und Unterdrückung in der kommunistischen Diktatur anregen.
Da große Teile der Gebäude und der Einrichtung fast unversehrt erhalten geblieben sind, vermittelt die Gedenkstätte ein sehr authentisches Bild des Haftregimes in der DDR. Hier wird politische Verfolgung in kommunistischen Diktaturen unmittelbar erfahrbar. Am authentischen Ort können sich Besucher über Haftbedingungen und politische Justiz in der DDR informieren. Die Zellen und Vernehmungsräume, die Freigangzellen, das Haftkrankenhaus und der "Grotewohl-Express" sind im Rahmen von Führungen zu besichtigen.Ehemalige Verfolgte der Stasi, wie Mario Röllig, führen heute Schulklassen und andere Besuchergruppen durch den historischen Ort und erzählen von ihrem Schicksal.
Häftling 3/28
Mario Röllig begrüßt die Schüler des Herder-Gymnasiums aus Berlin/Charlottenburg. Die 13- bis 14-Jährigen haben eben noch zur Einstimmung eine Dokumentation über die Ereignisse nach dem Zweiten Weltkrieg, über den Mauerbau und die Entstehung der DDR und der Staatssicherheit gesehen. Nun werden sie auf dem Gelände in der Genslerstraße 33 eine Zeitreise durch einen entscheidenden Lebensabschnitt des ehemaligen Häftlings Nummer 3/28 des Stasi-Gefängnisses Hohenschönhausen unternehmen.
Eine hohe Mauer mit Stacheldraht und Kontrolltürmen umgibt die mehrstöckigen Ziegel-Gebäude und Höfe, ein Gittertor versperrt den Weg nach draußen. Bei den ehemaligen Garagen beginnt Mario Röllig den Rundgang.
Die anfangs noch etwas unruhigen Jugendlichen werden still, schauen verstohlen auf die schweren Metalltore und vergitterten Fenster. Mario Röllig, der sich gar nicht als Oppositioneller empfand, sondern eher als braver DDR-Bürger, erzählt, wie es zu seiner Verhaftung kam. Der junge Mann arbeitete auf dem Flughafen Schönefeld im Restaurant als Kellner. Dort lernte er immer wieder Reisende aus dem Westen kennen, freundete sich mit ihnen an, traf sie abends in der Disco. So erregte er die Aufmerksamkeit der Staatssicherheitsbeamten. Da Mario Röllig weder bereit war, den Kontakt zu seinen Westberliner Freunden aufzugeben, noch durch Verlockungen wie bevorzugte Behandlung bei der Vergabe von Trabis oder die Aussicht auf eine eigene Wohnung als Spitzel gewonnen werden konnte, begann die STASI einen anderen Ton anzuschlagen, erzählt er.
Mario Röllig verlor seine Arbeitsstelle als Kellner am Flughafen Schönefeld, wurde zum Geschirrwäscher degradiert und immer mehr schikaniert. Schließlich fasste er einen folgenschweren Entschluss: Er versuchte, über Ungarn und Jugoslawien aus der DDR zu flüchten. Er kam bis zur Grenze, an die Donau. Dort fassten ihn ungarische Kopfgeldjäger, Mario Röllig wurde zurück nach Ostberlin überstellt und ins Stasi-Gefängnis Berlin Hohenschönhausen gebracht.
Bett, Toilette, Hocker
Durch enge Gänge, an welchen noch jene Drähte befestigt sind, mit denen die Wärter jederzeit Hilfe rufen konnten, führt Mario Röllig die Schüler in einen kargen Raum: ein hartes Bett, eine Toilette, ein Hocker – das war das ganze Inventar. Angesichts des Originalschauplatzes steigen furchtbare Erinnerungen in dem ehemaligen Gefangenen hoch. Die Demütigungen durch seine Vernehmer, die Brutalität der Wärter, die Angst - all das wird wieder präsent.
Mario Röllig wurde um 40.000 D-Mark freigekauft. Der Handel mit Gefangenen war für die DDR ein einträgliches Geschäft. Dann führt er die Schülergruppe an einer Bildergalerie vorbei: Fotos von Gerichtsverhandlungen sind da zu sehen, Gregor Gisi als Rechtsanwalt und der Dissident Jürgen Fuchs. Nicht nur markante Geräusche wie das Klicken der Klappe des Tür-Spions sind Mario Röllig heute noch präsent. Die kleingemusterte Tapete in den Verhörräumen ist erhalten geblieben und mit dem Mobilar, an dem man in der Gedenkstätte Hohenschönhausen nichts verändert hat, ist auch noch der typische Geruch der DDR hängen geblieben.
Kaum bewältigbare Folgen
Vier Menschen haben Mario Röllig einst verraten und der Stasi preisgegeben: sein ehemaliger Chef im Restaurant am Flughafen Schönefeld, zwei Arbeitskollegen und - was für ihn am schlimmsten war - sein bester Jugendfreund. Das erfuhr er, als er im Jahr 1997 Einsicht in seine Stasi-Akten erhielt. Bis heute leidet der ehemalige Gefangene an diesem Vertrauensbruch. Seine Fähigkeit, wieder jemanden zu vertrauen, ist bis heute extrem eingeschränkt. Und seine psychischen Probleme, die sich bis zum Selbstmordversuch steigerten, konnte er erst in den Griff bekommen, als er vor etwa zehn Jahren anfing, in der Gedenkstätte Hohenschönhausen Führungen zu machen.
Sichtlich beeindruckt verlassen die Schüler den historischen Ort. Auch Mario Röllig strengen diese Führungen immer wieder an, gibt er zu. Drei Mal im Monat schafft er es, sich diesem Ort auszusetzen, die übrige Zeit ist er in der Beratungsstelle "Vereinigung der Opfer des Stalinismus" tätig. Außerdem hat er als Protagonist an dem Dokumentationsfilm "Gesicht zur Wand", der in Hohenschönhausen auch auf DVD verkauft wird, mitgearbeitet und ist als Schauspieler in der preisgekrönten Produktion "Staatssicherheiten" regelmäßig im Otto–Theater in Potsdam zu sehen. Das ist seine Art, die Vergangenheit zu bewältigen.
service
Übersicht
- Reisen