Inflationär eingesetzte Gestaltungsmöglichkeit

Die Zukunft des 3D-Kinos

Wenn man vor zwei Jahren gesagt bekommen hätte, dass Werner Herzog und Wim Wenders 3D-Filme drehen, hätte man laut aufgelacht. Aber: Wenders kinetischer Liebesbrief an Pina Bausch ist bereits vor Monaten durch die heimischen Kinos getourt. Und Herzogs Dokumentarfilm "Die Höhle der vergessenen Träume" ist ab Freitag, 4. November 2011, in Österreich zu sehen.

Die deutschen Edelregisseure sind aber bei weitem nicht die einzigen Autorenfilmer, die sich dem Wunder der Stereoskopie zuwenden. Kaum ein bekannter Regisseur, der nicht gerade an einem 3D-Filmprojekt arbeitet oder eines in Vorbereitung hat. Gleichzeitig keimen in der amerikanischen Unterhaltungsindustrie erste Zweifel auf, ob das 3D-Kino all die vorab gegebenen Heilsversprechen tatsächlich einlösen kann. Denn viele US-Amerikaner verzichten lieber darauf, Filme mit klobiger Brille auf der Nase zu sehen. Jedenfalls wenn sie eine Wahl haben.

Rundgang durch die Chauvet-Höhle

Werner Herzog auf einem Surf-Trip zu den Wurzeln der Kunstgeschichte. Als erster Filmemacher und einer der wenigen Zivilisten hat er Zugang zur südfranzösischen Chauvet-Höhle erhalten. Erst Mitte der 1990er entdeckten Wissenschaftler das nach einem Hangrutsch verschüttete System: in seinem Bauch schlummern die ältesten aufgefundenen Höhlenmalereien und -zeichnungen der Menschheitsgeschichte. Wie ehrfürchtige Kinder betreten Herzog und sein Stammkameramann Peter Zeitlinger die Chauvet-Höhle. Ernst Reijsegers mythische Musik wabert über die Leinwand.

Die eigentliche Sensation an "Die Höhle der vergessenen Träume" ist allerdings, dass Herzog das Projekt in 3D realisiert hat. Es ist kein schmuckes Beiwerk, sondern formt das Zentrum seines Vermittlungsgedankens. Die Gänge erhalten durch die zusätzliche Raumdimension eine fast überirdische Qualität. Und die Malereien und Zeichnungen können so authentischer übertragen werden, als mit irgendeiner anderen Technik, denn die prähistorischen Künstler verwenden die natürlichen Ausbuchtungen der Steinwände, um räumliche Effekte zu simulieren. Für Herzog ist die 3D-Technik demnach alles andere als ein modernes Phänomen; eher schon eine Möglichkeit, zu den Wurzeln des künstlerischen Ausdrucks vorzustoßen.

Mit einem Einspielergebnis von über fünf Millionen US-Dollar in den USA allein ist "Die Höhle der vergessenen Träume" nicht nur einer von Herzogs kommerziell erfolgreichsten Filmen, sondern auch der einspielstärkste unabhängig verliehene Dokumentarfilm der Geschichte.

Erfolg und Misserfolg

Ähnliche Jubelmeldungen begleiteten den Kinostart von Wim Wenders' "Pina": Der expressionistische Tanzfilm mit der und über die kurz zuvor verstorbene Choreografen-Legende Pina Bausch war der erste in Europa gestartete unabhängige 3D-Film - und hat allein in Deutschland sein Budget wieder eingespielt.

Anderen Nichtstudio-Produktionen ist es weniger gut ergangen, vor allem, da sie gar nicht erst in die Kinos gekommen sind. "Gremlins"-Regisseur Joe Dante hat 2009 seine Horrorfantasie "The Hole" bei den Filmfestspielen von Venedig vorgestellt. Die klassische Geschichte erzählt von einer alleinerziehenden Mutter und ihren zwei Söhnen, die in ihrem neuen Haus ein bodenloses Loch entdecken. Dante führt das moderne 3D-Kino darin zu einem frühen Höhepunkt, da er dessen Konzept der räumlichen Tiefe in seine schaurige Erzählung einarbeitet. Obwohl der Film gute Kritiken bekommt, läuft er lediglich in einer Handvoll Länder regulär in den Kinos an.

Einspielergebnisse rückläufig

Die 3D-Kinoblase, die ist jedenfalls in Hollywood schon wieder geplatzt. Spätestens seit diesem Sommer sind die Einspielergebnisse für Filme mit der neuen Technik rückläufig. Große Blockbuster wie "Pirates of the Caribbean - Fremde Gezeiten" und "Kung Fu Panda 2" sind zwar gut gelaufen, allerdings hat sich über die Hälfte des Publikums dafür entschieden, sich das Spektakel in klassischem 2D anzusehen. Eine ernüchternde Zahl, wenn man bedenkt, mit welch horrenden Mehrkosten ein 3D-Film produziert werden muss.

Einer, der diese Entwicklung bereits vorhergesagt hat, ist James Cameron. Dessen Science-Fiction-Film "Avatar" hat Ende 2009 die 3D-Kino-Renaissance eingeläutet. Cameron hat damals schon davor gewarnt, die Technik inflationär einzusetzen. Führende Industrieanalytiker aus den USA gehen mittlerweile davon aus, dass sich das Publikum an den vielen mittelmäßigen 3D-Filmen satt gesehen hat, dass die Begeisterung über die räumliche Dimension genau deshalb abgeflacht ist.

Als kurioses Ergebnis dieser Entwicklung werden jetzt Arbeiten von renommierten Regisseuren aufgewertet - ganz einfach, weil die Zuschauer etablierten Namen wie Werner Herzog oder Wim Wenders vertrauen. Es ist also gut möglich, dass die Zukunft des 3D-Films im gehobenen Autorenfilmbereich zu finden sein wird.

Halbe/Halbe

"Twixt" nennt Regie-Legende Francis Ford Coppola sein jüngstes Projekt, das er im September bei den Filmfestspielen in Toronto vorgestellt hat. Val Kilmer spielt darin einen Schundromanautor, der sich in einer unheimlichen Kleinstadt in schwarz-weißen Traumwelten verliert.

Coppola bemüht für "Twixt" eine Vielzahl an Stilmitteln: Eines davon sind 3D-Effekte, die er allerdings nur in einer Handvoll Sequenzen einsetzt. Eine figurative 3D-Brille, die sich über die Leinwand legt, signalisiert dem Zuschauer, wann er seine 3D-Brille auf- und wieder absetzen soll.

Bereits in den österreichischen Kinos angelaufen ist "Die Abenteuer von Tim & Struppi: Das Geheimnis der Einhorn", und damit der erste Ausflug ins 3D-Land für Meisterregisseur Steven Spielberg. Wie nur James Cameron vor ihm versteht er es, Action-Choreografien in die räumliche Dimension zu übersetzen. Das Ergebnis ist spektakulär und trägt die eindeutige Handschrift von Steven Spielberg.

Die Kinogeher entscheiden

Ähnlich autorenbasiert dürfte sich "Hugo Cabret" ausnehmen. Martin Scorsese verfilmt damit einen bekannten Kinderroman, der sich um den Waisenjungen Hugo dreht. Der lebt Anfang des 20. Jahrhunderts in einem Pariser Bahnhof und stolpert unversehens in fantastische Abenteuer.

Die große Auswahl an 3D-Produktionen und die für gewöhnlich höheren Ticketpreise für 3D-Filme könnten bedeuten, dass Kinogänger wieder verstärkt auf Autorennamen setzen. Ausschlaggebend für diese Entwicklung wird sein, wie die Filme von Spielberg und Scorsese beim Publikum ankommen. Konsens ist aber: Was hilft eine dritte Dimension, wenn die Filme gleich schlecht bleiben.