"Café Sonntag"-Glosse von Franz Schuh

"50 Jahre der Herr Karl"

Das Fernsehen macht mir jeden Tag einen Eindruck. Zum Beispiel gewann ich meinen Eindruck aus einer so genannten "Moderation".

Die Moderatorin musste einen Schicksalsschlag abhandeln - ein Wiener hatte Hab und Gut verloren. Die Moderation tarnte ihr professionelles "Eh wurscht, Was geht mi des an, Hauptsach is i hob a story" hinter der aufmunternden Analyse der Lage des Unglücklichen: "Es helfen ihm", hieß es, "seine Freunde und sein Optimismus". Und dann zeigte die Kamera das Gesicht des Optimisten in der Totale. Der aber sagte: "I was net, wia's weida geht - oba es wird scho wern."

Ja, warum zitiere ich das? Weil es bestätigt, dass Wienerisch eine Fremdsprache geworden ist. "I was net, wia's weida geht - oba es wird scho wern" - das kann man schwerlich mit Optimismus übersetzen. Es ist eine Formel des einheimischen Fatalismus: Konst e nix mochn. Und was hat das mit Helmut Qualtinger und dem Herrn Karl zu tun? -

"Ich hab Dir mal gesagt Mariann, du wirst meiner Liebe nicht entgehen." Diese Liebeserklärung als gefährliche Androhung - das ist ein Zitat aus Ödon von Horvaths "Geschichten aus dem Wiener Wald" - und Qualtinger hat es in der Rolle als Fleischhauer ausgesprochen, und zwar so, dass der junge Mensch, der ich war, es ein für alle Mal kapiert hat: Das Wienerische hat einen unvermeidlichen Hang zur Doppelzüngigkeit.

Auch deshalb kann der Herr Karl in einem Atemzug das Gegenteil von dem sagen, was er sagt: "Die Deutschen sein einmarschiert ... de Polizei is g'standen mit de ... also mit de Hakenkreizbinden ... fesch ... es war furchtbar ... das Verbrechen, wie man diese gutgläubigen Menschen in die Irre geführt hat." - Und diese Virtuosität in der Doppelzüngigkeit hat politisch die Funktion, einen Opferstatus zu reklamieren: "I hab nur an Juden g'führt. I war ein Opfer. Andere san reich worden, i war a Idealist."

Es ist das alte Lied, das alte Wiener Lied: "Wenn der Wiener an schas loßt, mocht der Herrgott schön's wetter." Die Figur des Herrn Karl wird vom Künstler Qualtinger belebt, der ihre Aussprache perfekt beherrscht.

Ich weiß, dass es Leute gibt, die es für einen ideologischen Trick halten, Qualtingers Sprechkunst zu betonen: Damit unterdrücke man die Inhalte. Ich finds aber auch inhaltlich lehrreich, dass jetzt, wo das traditionelle Wienerisch langsam vergessen wird, Qualtingers "Herr Karl" eine Quelle dafür bleibt, wie es einmal klang.