Ein Bild der iranischen Gesellschaft
Nader und Simin
Selten war man sich schon vor der Preisverleihung eines Filmfestivals so einig darüber, wer der Sieger sein muss, wie heuer auf der Berlinale: der iranische Streifen "Nader und Simin: eine Trennung" galt als Favorit und hat auch gewonnen.
8. April 2017, 21:58
Kultur aktuell, 14.11.2011
Hat Nader die schwangere Pflegerin seines Vaters gestoßen, sodass sie die Treppe hinunter gefallen ist und in der Folge ihr Baby verloren hat. ein Gericht hat die zentrale Frage im iranischen Film: "Nader und Simin: Eine Trennung" zu klären.
Was ist wirklich passiert? Die Wahrheitssuche wird zum dramaturgischen Leitfaden ein komplexes Drama, das zahlreiche Reibungsflächen der heutigen iranischen Gesellschaft markieren. Zuvorderst: das Nebeneinander von einer stark durch religiösen Glauben geprägten Unterschicht einerseits und einer liberaleren Mittelschicht mit durchaus westlichem Lebensstil andererseits.
Zwischen Tradition und Moderne
Die Fronten von Gut und Böse, von Täter und Opfer, löst Regisseur Asghar Farhadin von Anfang an auf. Die Figur Naders wird zum Sinnbild für ein Dilemma der iranischen Gesellschaft zwischen Tradition und Moderne.
Alle lügen hier ein wenig, jeder hat seine Gründe dafür. Moralische Verantwortung und juristische Gerechtigkeit werden dennoch ihren kategorischen Bedeutungen entzogen. Es ist der Übersicht von Regisseur Farhadi zu verdanken, dass diese Verästelung der Handlung hinein in den iranischen Alltag nicht zu einer beliebigen Fingerübung wird.
Der Zuseher soll denken wie er will
Die dichte der verhandelten Motive , etwa Schuld und Sühne, religiösen Zwängen, patriachale Strukturen, von Geschlechter- und Klassenverhältnisse, erhält eine stets nachvollziehbare Klarheit
Regisseur Farhadi: "Ich vermeide es, dem Zuschauer vorzuschreiben, wie er meinen Film interpretieren soll. Ich sage ihm nicht welche Figuren er mögen und welche er nicht mögen soll. Er soll nur über die Themen nachdenken. Dies gibt dem Zuschauer die Freiheit, so zu denken, wie er will."
Regisseur Farhadi vereint Charakterporträts und Beziehungsdramen, einen Gerichtsthriller mit einem Kriminalfall. Die Politik, das sonst im westlichen Ausland dominierende Thema des iranischen Kinos, wird hier nur am Rande gestreift, wohl mit ein Grund, dass der Film sogar im Iran selbst einen regulären Kinostart erleben konnte.