Branford Marsalis nimmt neues Album auf

Wie auf Wolken

Lange Zeit galt er als Vorzeigestar des jungen US-amerikanischen Jazz. Heute gehört Branford Marsalis zu den großen Jazz-Saxofonisten unserer Zeit - neben seinem jüngeren Bruder, den Trompeter Wynton Marsalis. Sein neues Album entsteht in Durham, dem Silicon Valley der Biomedizin im US-Staat North Carolina.

Kulturjournal, 09.12.2011

Hayti Heritage Center, Downtown Durham: von außen eine schlichte einschiffige, aus roten Backsteinen gebaute Kirche. Innen gleicht das Gotteshaus eher einem kleinen Konzertsaal als einem traditionellen Gebets- und Andachtsraum. Überall liegen Kabel herum, sind Mikrophone, Computer und LCD-Bildschirme aufgebaut.

Auf der Bühne spielen Branford Marsalis, Pianist Joey Calderazzo und Bassist Erik Rives. Drummer Justin Faulkner sitzt in einer provisorischen weißen Schallkabine mit Guckfenster, um so Blickkontakt mit Bandleader Branford Marsalis zu halten.

Wie ein Live-Auftritt

Das Hayti Heritage Center sei ein wunderbarer Aufnahmeraum, erklärt der Echo-Jazz-Preisträger 2010, kein Dröhnen, keine dumpfe Akustik bei lauten und leisen Passagen. Bereits zum fünften Mal nimmt Marsalis hier eine CD auf, um mehr den natürlichen Klang des Raumes zu nutzen und weniger mit Hall zu arbeiten. Aber auch aus einem anderen Grund klingt das neue Album alles andere wie eine Studioproduktion:

"Wir proben nicht", sagt Marsalis. "Jazz ist eine sehr spezielle Musik mit einer eigenen Sprache. Und wenn man die verstanden hat, dann muss jeder für sich allein üben. Der Grund, warum ich auf Proben für unser neues Album verzichte, ist ganz einfach: Die Soli würden sonst wie einstudiert klingen. Wir würden dann so spielen, als wären wir auf alles vorbereitet, alles wäre geplant, vorhersagbar. Aber das will ich nicht. Wir gehen hier auf die Bühne und schauen, was passiert. So wie bei einem Live-Auftritt. In der Popmusik ist das natürlich ganz anders, da ist alles abhängig von der Technik. Denken Sie an Lightshows. Da muss man sehr intensiv proben, damit keiner einen Tanzschritt verpasst, wenn der Scheinwerfer angeht. Das wäre ein Desaster."

Aus Fehlern lernen

Freundlich, eloquent und selbstbewusst, so kennt man ihn: Auf der Bühne im eleganten schwarzen Anzug. Hier, während der Aufnahme, in T-Shirt, Bluejeans und Turnschuhen. Gelassen und mit wenigen Gesten redet der mittlerweile 51-jährige Marsalis. Aus dem einstigen Vorzeigestar des jungen amerikanischen Jazz, der bei Art Blakey und Miles Davis spielte, ist ein etablierter Tenor- und Sopransaxofonist geworden, dessen lässige Eleganz seines Spiels sich vom ersten Ton an zeigt.

"Als Musiker musst du bereit sein, auf die Bühne zu gehen und 'ne Menge Fehler zu machen, um zu lernen, wie man wirklich Musik macht", meint Marsalis. "Und du musst sehr selbstkritisch sein. Wenn ich auf der Bühne stehe, versuche immer herauszukriegen, was wir falsch machen und wie wir diese Probleme beseitigen können."

"Musik ist etwas Magisches"

Ein musikalischer Weltenbummler war Branford Marsalis immer schon: mal als Popmusiker und als Begleiter von Sting, mal als Filmkomponist für Filmregisseur Spike Lee, dann wieder in der Hausband des Late-Night-Talkers Jay Leno, mit Interpretationen klassischer französischer Komponisten des 19. und 20. Jahrhunderts oder als Leader der Hip-Hop-Jazzprojekts Crossover-Band Buckshot LeFonque.

In den letzten Jahren hat sich Marsalis wieder dem Jazz gewidmet - und verzichtet dabei bewusst auf die vielfältigen Soundmöglichkeiten heutiger Studiotechnik: "Ich mag's lieber, wenn wir versuchen, aufeinander zu hören und einen eigenen Sound zu schaffen, als wenn wir von vornherein wissen, wo's langgeht. Technisch gesehen sind ja die meisten Songs des neuen Albums nicht sehr schwer. Das wirklich Komplizierte ist, sie 'musikalisch' zu spielen, und das kann man einfach nicht proben. Mir ist es egal, wie man diese Art von Musik nennt. Musik ist etwas Magisches, das in der Jetzt-Zeit passiert."

Das Ziel ist das Zusammenspiel

In den letzten Jahren hat sich Marsalis darauf verlegt, die Arbeit mit seinem Quartett zu forcieren. Bereits vier CDs sind im eigenen Label Marsalis Music erschienen. Man verstehe sich, man reagiere auf Blickkontakt und selbst der ist manchmal nicht einmal notwendig, wenn man den vier Musikern bei der Aufnahme zuschaut. Bis auf Drummer Justin Faulkner spielt das Quartett schon seit über zehn Jahren zusammen. Dabei sei nie die Platte das Ziel, sondern der Auftritt, das Zusammenspiel, sagt Marsalis.

Balladen sind seine Stärke, vor allem, wenn er zum Sopransaxofon greift. Dann wieder treibt Pianist Joey Calderazzo Marsalis immer wieder an, Musik, die ein ausgezeichnetes Niveau hat und angereichert ist mit Saxofon- und Klaviersoli, die wendig interpretiert und klar intoniert werden. Die Stücke sind sauber gebaut und die Gruppe traditionell sortiert nach Rhythmus und Melodie, keine Hektik, sondern großes Handwerk.

Klassik für die Kinder

Marsalis lächelt, ein Leuchten erstrahlt auf seinem Gesicht, wenn er über seine Vorstellungen spricht, was Jazz-Musik ist und welche Bedeutung klassische Musik für ihn und seine zwei kleinen Kinder hat: "Meine Kinder hören klassische Musik seit ihrer Geburt. Die meisten Eltern machen ja den Fehler, ihren Kindern nur die Musik vorzuspielen, die sie selbst mögen. Und viele haben oft nur einen sehr beschränkten Geschmack. Wenn Eltern wollen, dass ihre Kinder die Rolling Stones oder die Beatles hören, Ok, toll, das kannst du nun mal nicht ändern."

Und weiter: "Vor einigen Jahren fragte mich eine Freundin meiner Frau: Branford, ich habe gehört, du spielst deinen Kindern nur klassische Musik vor. Darauf ich: Ja, das stimmt! Und dann habe ich sie gefragt, ihre Kinder hören all diese Lieder über Frösche und Enten, worum geht's da eigentlich? Über Frösche natürlich, antwortete die Freundin. Wissen Sie was der Unterschied zur 'Kleinen Nachtmusik' von Mozart ist? Sie erlaubt den Kindern, Phantasie zu entwickeln, die Musik hilft ihnen, sich eine eigene Geschichte auszudenken. Lieder mit Texten sagen dir, worum es geht. Die Texte programmieren dich, das zu glauben, was andere Leute dir in ihren Liedern erzählen. Natürlich hören meine Kinder den Kram, den alle Kinder gerade hören, aber abends, wenn sie ins Bett gehen, dann hören sie Klassik. Und ich denke, sie haben einen Riesenvorteil, weil sie Musik einfach anders hören werden als ihre Freunde."

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