Experten orten viele offene Fragen
Hürdenlauf zum Brüsseler Vertrag
Der EU-Vertrag, auf den sich letzte Woche bei dem Gipfel in Brüssel alle EU-Staaten außer Großbritannien geeinigt haben, gerät schon vor seiner konkreten Ausformulierung unter Druck. Immer mehr Staatschefs haben Probleme, den neuen Fiskalplan durch ihre nationalen Parlamente zu bekommen.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 15.12.2011
Prag auf Distanz
Bevor man irgendetwas unterschreiben wolle, müsse man erst konkrete Entwürfe abwarten, heißt es beispielsweise aus Tschechien oder Schweden. Erst dann könne man entscheiden, ob man dem neuen Vertrag zustimmen oder sich auf die Seite Großbritanniens schlagen werde. Vor allem der tschechische Premierminister Petr Necas geht auf Distanz: "Wir werden intensive Gespräche mit Partnern in der EU führen. Erst dann, wenn die Regierung alle notwendigen Daten, Analysen und Fakten erhält, werden wir in dieser Sache entscheiden."
Abwarten in Stockholm
Und auch Schwedens Regierungschef Frederik Rheinfeldt will erst einen Textentwurf sehen, bevor er sein Okay gibt: "Die Analysen sind noch nicht abgeschlossen. Bevor ich irgendeine Entscheidung treffe, möchte ich die Ausmaße dieser Entscheidung kennen. "
Innenpolitische Gründe
Kein Verständnis dafür hat der Politologe Marco Incerti von der Brüsseler Forschungseinrichtung CEPS. Die Debatten gegen den Vertrag hätten mehr innenpolitische Gründe als inhaltliche: "Wenn die Regierungen in Ungarn, Schweden oder Tschechien sich diesen Vertrag genau ansehen würden, dann hätten sie wenig daran auszusetzen. Aber sie haben sehr EU-skeptische Parteien um sich und darum müssen sie die Brüssel die Schuld in die Schuhe schieben."
Noch Vieles unklar
Aber auch innerhalb der Euro-Zone regt sich zunehmend Unmut: In Irland fordert die Opposition eine Volksabstimmung, und auch in Finnland und den Niederlanden geraten die Regierungen unter Druck. Für wenig überraschend hält das der Politologe Guntram Wolff vom Bruegel-Institut in Brüssel. Heikel sei vor allem die Frage, welche Institution dann handeln soll. Und sehr viele Fragen seien überhaupt offen.
"Gemeinsames Finanzministerium nötig"
Kritik kommt sowohl aus dem Ausland, als auch von Seiten der Wirtschaft. Die Beschlüsse der letzten Woche hätten das Vertrauen der Finanzmärkte in die Eurozone noch nicht wiederhergestellt, sagt Guntram Wolff. Langfristige Ziele fehlten immer noch: Ein stabiler Währungsraum benötige auch eine stabile gemeinsame Fiskalpolitik mit "einem gemeinsamen Finanzministerium, das starke Souveränitätsrechte hat und auch gemeinsame Staatsanleihen begeben kann." Doch all das sei in Brüssel nicht beschlossen worden.
Dennoch ein Fortschritt
Aber immerhin wurde die andere Seite, die der Budgetdisziplin, in Brüssel beschlossen. Und die sei ein wesentlicher politischer Fortschritt, stimmen die beiden Experten der Brüssler Think Tanks überein. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Vertrag in dieser Form umgesetzt werden kann, halten daher beide für hoch. Allerdings müsse es jetzt schnell gehen, fordert Marco Incerti vom Forschungsinstitut CEPS : "Die Zeit drängt, also je schneller es geht, umso besser. Die Dinge, die in diesem Vertrag stehen, sind nicht revolutionär. Wichtig ist, dass ihn die 17 Euro-Länder akzeptieren. Meiner Meinung nach sollte nicht zu viel Zeit damit verbracht werden, alle 26 Staaten zu überzeugen. Der Fiskalpakt wird sie nicht sowieso nicht stark treffen, da müssen sie eine Entscheidung fällen. Wie Großbritannien. Wenn sie nicht mitmachen, ist das okay, das ist für niemanden eine große Sache."
Entwurf bis Weihnachten?
Einem Bericht der Financial Times zufolge könnten Entsandte der 26 Staaten bereits heute mit der Ausformulierung des konkreten Textes beginnen. Gerüchten zufolge soll ein erster Entwurf bereits vor Weihnachten feststehen könnte.