Fahrrad-Essays von David Byrne
Bicycle Diaries
"Das Glück der Erde liegt auf dem Rücken der Pferde", hieß es einst im Volksmund. Der urbane Cowboy der Jetztzeit sucht sein Glück auch im Sattel. Allerdings im Sattel eines Fahrrades. Immer mehr Menschen leben in Städten. Immer mehr benutzen ein Fahrrad. Einer von ihnen ist David Byrne, seines Zeichens Mitbegründer der Kultband Talking Heads, New Yorker Künstler und Buchautor.
8. April 2017, 21:58
In seinem aktuellen Werk, den "Bicycle Diaries" widmet sich Byrne titelgerecht seiner Leidenschaft fürs Radfahren. Seit kurzem ist das Buch auch auf Deutsch erhältlich.
Leidenschaftlicher Radfahrer
"Klar bin ich mit dem Rad gekommen", sagt Byrne beim Gespräch in seinem Büro in Manhattan. "Ich wohne in Midtown. Von dort ist es nicht weit nach SoHo. Am Weg hierher habe ich einen alten Freund getroffen und mich kurz mit ihm unterhalten. Hätte ich die U-Bahn oder ein Auto genommen, hätte ich das wohl nicht getan. Das Fahrrad konfrontiert dich viel direkter mit der Stadt. Hier ein Freund, dort ein neues Cafe oder Buchgeschäft. Das Auto hingegen schränkt die Perspektive eher ein."
Seit über 30 Jahren strampelt David Byrne durch New York. Als junger Künstler war es zunächst praktisch und billig - auch wenn Freunde und Bandkollegen manchmal den Kopf geschüttelt haben. Fahrradfahren durch das verslumte Downtown, Manhattan galt in der Szene nicht unbedingt als cool.
"Interessanterweise war das Fahrradfahren damals gar nicht so gefährlich, wie man sich das vorstellt. Die Lower East Side lag zwar praktisch in Trümmern und an jeder Straßenecke lungerten Drogendealer herum, aber genau deshalb gab es nur wenig Verkehr. Taxis haben sich erst gar nicht in die Gegend gewagt. Das Rad war also das bestmögliche Fortbewegungsmittel, um von einem Club zum anderen zu kommen."
Auf Tournee stets mit Klapprad
Nachzulesen sind die Abenteuer David Byrnes in den "Bicycle Diaries" – zu Deutsch: "Fahrradtagebücher". Zehn Jahre lang hat der Autor seine Essays, Journaleinträge und Blog-Posts zusammengetragen und zu einem Buch verdichtet. Die Textsammlung trägt den Untertitel "Ein Fahrrad. Neun Metropolen": Als Frontmann der Talking Heads hatte Byrne stets ein Klapprad mit auf Tour. Während die anderen Bandmitglieder im Hotel auspannten, erkundete Byrne auf dem Rücken seines Drahtesels Großstädte wie Manila, Berlin und Bueons Aires.
Zitat
Die in der Überschwemmungsebene des Rio de la Plata gebaute Stadt ist ziemlich flach und eignet sich aufgrund des angenehmen Klimas und der halbwegs gitterförmig angelegten Straßen perfekt zum Fahrradfahren. Trotzdem lassen sich die Radfahrer an einer Hand abzählen. Warum eigentlich? Liegt es am rücksichtslosen Fahrstil, an den eklatanten Diebstählen, dem billigen Benzin oder an der Tatsache, dass Autos notwendige Statussymbole sind? (...) Wahrscheinlich liegt es an keinem dieser Gründe. Ich glaube, in Buenos Aires hat man Radfahren einfach nicht auf dem Radar. Dass ich hier Rad fahre, gilt als so ungewöhnlich, dass es den Lokalzeitungen eine Nachricht wert ist.
Tausende Eindrücke niedergeschrieben
Byrnes Buch liest sich manchmal so, wie man sich einer Radfahrt durch das Zentrum von Rom zur Hauptverkehrszeit vorstellt. Tausende Eindrücke prasseln auf den Leser ein. Die Vermengung von Lebensanschaung, Reisebricht, Kulturabhandlung und Aufklärungsbroschüre gerät manchmal etwas chaotisch. Europäische Leser werden erstaunt sein über die Grundsatzerklärungen zum Thema Radfahren, Umweltschutz und Gesundheit - zählen die Vorzüge des Radelns in der Alten Welt doch mittlerweile zum kulturellen Allgmeingut.
"Ich will den Menschen meine Geschichte erzählen", so Byrne. "Ich will damit natürlich etwas bewegen. Aber ich sage meinen Freunden nie: Du musst das jetzt tun! Ich sage ihnen bloß: Ich bin schneller im Lokal als du! Für euch in Östereich und Deutschland ist das Radfahren ja ganz normal. Nicht bei uns in Amerika. Da galt man lange als 'crazy', wenn man sich mit dem Rad auf den Asphalt wagte. Gott sei Dank ändert sich das jetzt langsam."
Zitat
Unmittelbar vor einem Theater in Midtown fährt ein Mann auf einem Lowrider vorbei. Ein erwachsener Mann, äußerlich ziemlich normal aussehend, bis auf die Tatsache, dass vorne auf dem Rad ein unglaublich großer Ghettoblaster thront. Ich fahre los, und ein paar Minuten später begegnet mir der nächste Ghettoblaster-Radler, diesmal eine Jane Austen lesende Frau mit vernünftigem Schuhwerk. Sie sitzt auf einem normalen Fahrrad, aber auch bei ihr ist hinten ein kleinerer Ghettoblaster festgeschnallt."
Rücksicht von allen Seiten
New York ist mittlerweile eine der Fahrrad-freundlichsten Großstädte der USA. Über weite Teile von Manhattan und Brooklyn hat sich ein engmaschiges Netz von Radwegen gelegt. Die Zahl der Fahrrradfahrer ist sprunghaft angestiegen und in diesem Jahr startet der erste öffentliche Verleih-Service der Stadt. Doch eine verbesserte Infrastruktur macht noch keinen sicheren Verkehr. Byrne, der sich in zahlreichen Fahrrad-Initiativen engagiert, nimmt nicht nur die Behörden, sondern auch seine Mitbewohner in die Pflicht.
Zitat
New York: Im Gegensatz zu vielen anderen amerikanischen Städten muss in New York fast jeder mindestens einmal pro Tag auf die Straße und anderen Menschen begegnen. Jeder hat mindestens einen kurzen öffentlichen Auftritt. Ich musste mal Paris Hilton ausweichen, die mit ihrem Hündchen im Arm bei Rot über die Ampel ging und sich umschaute, als wollte sie sagen: "Ich bin Paris Hilton, erkennst du mich nicht?"
"New York ist das reine Chaos", meint Byrne. "Der typische Radler sieht aus wie eine Kombination aus Athlet und Straßenkämpfer. Es herrscht Krieg zwischen Auto- und Radfahrern. Die Frage lautet nun: Wie kann man die Kultur des Gegeneinanders überwinden? Mein Vorschlag: Man muss den Menschen etwas anbieten. Die Sicherheit ihrer Kinder zum Beispiel. Nur so kann es klappen."
Lust auf Stadterkundung
Das Buch "Bicycle Diaries" ist eine anregende und kurzweilige Gedankensammlung eines Flaneurs auf zwei Rädern. Auch wenn das Gemenge an Visionen, Abhandlungen und ganz banalen Altagsbeobachtungen bisweilen in die Sackgasse führt, David Byrnes Texte machen so richtig Lust auf Stadterkundung via Drahtesel. Der Künstler, Musiker und Autor besitzt übrigens auch ein altes "Austro Daimler"-Fahrrad aus der Zwischenkriegszeit.
"Das Fahrrad hat mir ein gutes Stück Freiheit zurückgegeben", findet Byrne. "Du selbst kannst entscheiden, wohin du wann fährst und was du sehen willst. Es ist eindeutig eine Bereicherung des Lebens". Mit diesem "Austro Daimler"-Fahrrad ist David Byrne am Tag es Interviews auch wieder nach Hause gefahren.
Service
David Byrne, "Bicycle Diaries", aus dem Amerikanischen übersetzt von Brigitte Jakobeit, S. Fischer Verlag
S. Fischer - Bicycle Diaries