Die "Scheißjugend" des Andreas Altmann

Geweihtes Blech

"Jeden von uns plagen Träume", schreibt Andreas Altmann auf seiner Internetseite. Nach abgebrochenen Studien arbeitete er als Privatchauffeur, Anlageberater, Nachtportier, Parkwächter, Dressman. Er reiste nach Asien und Afrika. Zog nach New York. Nach Mexiko. Und wurde Reiseschriftsteller.

Der "Ranz des Alltags"

Andreas Altmann ist kein Freund der Unterwürfigkeit. Dennoch hat er seine Anklage gegen den Tyrannen erst nach dessen Tod öffentlich gemacht. Der Reporter und Reiseschriftsteller verbringt nur wenig Zeit zu Hause. Er lebt nun schon lange in Paris, "weil es hier schön ist" - leichter fällt ihm das Leben allerdings unterwegs.

Mit "Das Scheißleben meines Vaters, das Scheißleben meiner Mutter und meine eigene Scheißjugend" legt er Rechenschaft ab für seine "Flucht vor dem Ranz des Alltags". Letzterer hatte einst alle Register gezogen und dem Heranwachsenden die ganze Kakophonie des Lebens um die Ohren gehauen: eine Symphonie für - das Wort sei in diesem Zusammenhang gestattet - Arschgeige und komplett verstimmtes Orchester.

Hass auf die Welt

Der Vater, ehemals ausgestattet mit charmantem Äußerem und nicht aus ärmstem Hause, war im Krieg. Was da aus dem Krieg zurückkam, hatte alles Menschliche, alles Warme, Liebende und gewiss alle Hoffnungen verloren. Was geblieben war, ist bitterer Hass auf die Welt, auf sich selbst und auf die Mitmenschen, allen voran seine Frau und seine Söhne. Die "Zeit" nennt Altmanns Buch einen "Tatsachenbericht über die Abwesenheit Gottes". Gerade dieser war doch scheinbar so nahe - in Altötting, dem beliebtesten Wallfahrtsort Deutschlands, wo Ihm in allen erdenklichen Verbeugungen und Verrenkungen gehuldigt wurde (und wird).

Altmanns Vater wird Rosenkranzverkäufer. Grossist. "Rosenkranzkönig". Er verkauft in rauen Mengen all das, was Wallfahrer so begehren: Devotionalien aller Art - Schneekugeln mit winzigen Plastikfiguren aus dem Götzenkabinett und "geweihtes Blech", abgefüllt in Säckchen, für den Eigenbedarf oder zum Verschenken. So stellt Andreas Altmann die Kulisse seiner Kindheit und Jugend dar.

Schläge, Erniedrigungen, wieder Schläge

Protagonist in dieser eigentlich gruseligen Geschichte ist Franz Xaver Altmann, Motiv des Erzählten sind Schläge, Erniedrigungen, wieder Schläge, willkürliche Bestrafungen, "Arbeitsdienst", wieder Schläge, während im Ort alle Heiligen angebetet werden. Der Autor findet für derlei Misshandlungen eine unmissverständlich harte Sprache. Drei-Wort-Sätze. Wiederholung nach Wiederholung.

Die Mutter, ein schwaches, sehr gläubiges Persönchen, ist längst aus dem Haus geekelt und lässt den Sohn im Stich - nachdem sie ihn gleich nach der Geburt mit einem Polster hatte ersticken wollen. Die beiden älteren Brüder bieten keinen Schutz gegen einen, der sich auf den Jüngsten eingeschossen hat. Andreas ist allein. Er ist mickrig, blass, hat dürre Beine.

Zwischen den auf ihn nieder rasenden Schlägen bäumt das Bürschchen sich immer wieder auf. Freilich vergebens, denn der Vater hat für jeden Fall die passende Waffe. So werden alle Versuche des Jugendlichen, sich vom Leben zu nehmen, was ihm gebührte, bei nächster Gelegenheit zunichte gemacht - aus dem Kleinen wird kein Radrennstar, kein Mister Universum und auch sonst nichts, wonach ein verzweifeltes Kind sich sehnt.

Dennoch taucht da immer wieder etwas wie Trotz auf, ein innerer Widerstand wird über die Dauer dieser 250 Seiten, von Enttäuschung zu Enttäuschung, konturierter. Er zeigt sich nicht zuletzt darin, dass Andreas den eigenen Blick wenn schon nicht als Waffe, so doch als Schutzschild entdeckt: den Blick in Vaters Augen, während der ihn misshandelt. Der Sohn demaskiert den Vater mit dem klaren Blick dessen, der Unrecht von Recht zu trennen gelernt hat, obgleich auf schrecklichen Umwegen. "Dieses Buch", so die "Zeit", "ist keine modische Vatermordprosa", sondern es handle davon, "dass man sich nur selber aus der Scheiße seiner Herkunft befreien kann".

Der Weg aus der Hölle

Andreas Altmann, der "Modell-Versager", ist mehrfach preisgekrönter Reiseschriftsteller; sein Weg aus der Hölle begann dort, wo seine Erzählung endet, in einem echten Aufbäumen gegen den Tyrannen. Seinen ersten Schlussstrich zieht er in seinem Zimmer: "Auf einem Quadratmeter Mauer waren die 'Gefängnisstriche' verteilt, noch genau 851 Tage wären es bis zu meinem 21. Geburtstag gewesen, dem Tag der Volljährigkeit, der gesetzlich garantierten Freiheit, täglich genoss ich das Zweisekunden-Glück, vierundzwanzig Stunden durchstreichen zu dürfen, jetzt schmierte ich einen fetten roten Balken darüber: 'Vorzeitige Entlassung wegen schlechter Führung', Datum, Unterschrift."

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Andreas Altmann