Der Wind ist ein Wiener
Helmut Schödel über die Menschen von Wien
"Kunst ist für mich etwas, was die Defizite unseres Lebens ausgleicht." Im Paradies, in einem Leben ohne Mängel, würde Kunst nicht stattfinden. Davon ist der Kulturjournalist, Autor und Dramaturg Helmut Schödel überzeugt.
27. April 2017, 15:40
Weil der Mensch aber ein Dasein voller Entbehrungen und Defizite zu führen hat, schreibt er Romane, macht Musik oder malt Bilder - und drückt auf diese Weise seine Sehnsucht nach einer vollkommenen Welt aus. Kunst sei eine "Vision, um dem Elend des Alltags zu entkommen", meint Helmut Schödel.
Helmut Schödel, Autor
Sein Interesse gilt Menschen, mit denen er sich wie durch ein unsichtbares Band verbunden fühlt.
Originalität und Unverwechselbarkeit
Er selbst brach schon in jungen Jahren aus seinem Alltag im deutschen "Nordostoberfranken" aus. "Ich wusste schon mit 16, 17, dass mich dieses Leben, das um mich stattfindet, dieses ganze soziale Gerumse, nicht interessiert, dass ich aus den unterschiedlichsten Gründen daran nicht teilnehmen kann. Damit diese Verfassung nicht in einen Freitod führt, bin ich Journalist geworden; Journalist heißt: Ich erkläre mir das Leben zur Recherche und schaue, was machen denn die andern so damit?"
Helmut Schödel bemüht sich in seiner Arbeit um größtmögliche Originalität und Unverwechselbarkeit. Journalismus etwa ist für ihn keine routinierte Textverarbeitung, vielmehr betrachtet er jeden Artikel als eine künstlerische Äußerung. Das nötige Handwerk lernte er von seinem einstigen Vorbild und späteren Mentor Benjamin Henrichs, dem einstigen Kulturredakteur des namhaften deutschen Wochenblatts "Die Zeit". Henrichs stellte einem Kunstwerk, also etwa einem Theaterstück, das er zu besprechen hatte, stets ein eigenes Werk, eine bis ins letzte Detail ausgefeilte Rezension gegenüber, so Schödel.
"Wer was kann, kann auch ehrlich sein"
Dank der Lehrjahre bei Henrichs wurde Schödel bald in die erste Reihe der deutschsprachigen Feuilletonisten aufgenommen und bekam es nicht nur mit Kunstwerken, sondern auch mit leibhaftigen großen Künstlern zu tun. Beeindruckend war für ihn die Begegnung mit Herbert Achternbusch, dem bayerischen Filmemacher und Allroundkünstler. Schödel sollte über Achternbuschs erstes Theaterstück schreiben, traute sich aber nicht, den "Meister" anzusprechen. "Irgendwann steht Achternbusch auf und sagt: Gell, du bist a schüchtern", erzählt Schödel. Da habe man gesehen, "wer was kann, kann auch ehrlich sein."
Schödels Interesse gilt Menschen, mit denen er "sich treffen" kann, mit denen er sich wie durch ein unsichtbares Band verbunden fühlt. Manchmal sind es Prominente, immer öfter sind es aber auch Leute, die nicht tagtäglich auf den Titelseiten von Zeitungen zu finden sind, die keine hohen Preis- oder Würdenträger sind, sich dafür aber umso mehr durch eine gewisse "Würde in der Bewältigung des Alltags" auszeichnen.
Das "Wiener Wesen"
Schödel, der sich hierzulande auch als Dramaturg und Kurator einen Namen gemacht hat und für die "Süddeutsche Zeitung" aus dem Wiener Kulturleben berichtet, studiert gleichsam berufsbedingt das Wiener Wesen: "Der Wind ist ein Wiener" heißen seine gesammelten Reportagen, die dieser Tage im Verlag Müry Salzmann erschienen sind.
Als "melancholischen Realisten" beschreibt Helmut Schödel da den Dichter und Sänger Ernst Molden, einen der 23 Portraitierten in seinem Buch. Und dann sind da noch der einstige Weltstar Helmut Berger, der Tierretter Michael Aufhauser oder der Filmemacher Peter Kern, daneben aber auch eine Wirtin, eine altgewordene Prostituierte und ein nie berühmt gewesener Schauspieler des Wiener Burgtheaters. Sie alle scheinen wie zufällig aneinandergereiht, doch eint sie alle eines: Sie sind Unikate, sie unterwerfen sich keinen Moden, keinem ökonomisch verwertbaren Motto, sie führen ein Leben voller Hindernisse und bewahren trotz allem einen gewissen Stolz und Lebensmut. Manche Biografien entfalten Leuchtkraft trotz aller Unscheinbarkeit.
Helmut Schödel schreibt seine Reportagen ausschließlich in den Kaffee- und Wirtshäusern seines Wohnbezirks, der Wiener Leopoldstadt. Hier findet er sie noch, die etwas verlotterten, noch weitgehend unbehübschten Lokale, denen der Charme des eleganten Verfalls innewohnt. Hier findet der Autor auch die Helden seiner Bücher.
Service
Helmut Schödel, "Der Wind ist ein Wiener. Reportagen für morgen", Müry Salzmann Verlag