Zu Gast im KHM

Nan Goldin beim Künstlergespräch

Im Kunsthistorischen Museum fand am Mittwoch, 14. März 2012, das dritte der monatlichen Künstlergespräche statt. Nach Jeff Koons und dem Kunstkritiker Martin Gayford war die US-amerikanische Fotografin Nan Goldin eingeladen.

Goldin, die vor allem wegen ihrer beeindruckenden Bilder, in denen sie Tabus bricht, berühmt ist - in ihren Bildern geht es um Tod, Liebe, Sexualität, Drogen - hat ihren Video-Film "Scopophilia" vorgestellt.

Kultur aktuell, 15.03.2012

Sieht man im Internet nach, so findet man unter "Scopophilia" eine psychoanalytische Erklärung, die den Begriff mit Voyeurismus und Ähnlichem in Verbindung bringt. Nan Goldin sieht das anders: Es sei jemand, der so viel Vergnügen beim Sehen hat, dass es ihn völlig erfüllt, das sei nichts Sexuelles, meint Nan Goldin.

Für "Scopophilia" konnte Nan Goldin außerhalb der Besuchszeiten im Louvre fotografieren. Insgesamt waren drei Personen an dem Projekt beteiligt, auch ein Komponist, Alain Meyer. "Ich bin keine Kunsthistorikerin, und hatte Angst", sagt Goldin. "Ich habe auf die Gemälde reagiert und auf die Menschen, die dargestellt waren, und wusste manchmal nicht einmal, wer der Maler war. Aber ich sah kleine Details, die mich faszinierten. In dem Video gibt es so gut wie kein ganzes Bild."

Alte und neue Fotos kombiniert

Als die Fotos aus dem Louvre fertig waren, hat Nan Goldin sie mit früheren Aufnahmen aus der Zeit, als sie das, was sie "ikonografische" Arbeiten nannte, kombiniert - Fotos, die sie berühmt gemacht haben - von Drogenabhängigen, Aidskranken, Drag Queens oder einfach Verliebten.

"Wir haben passende Fotos zu den Bildern, die wir im Museum aufgenommen haben, ausgesucht, die meisten aus den 70er und 80er Jahren, und so entstanden Geschichten", sagt Goldin. "Sie sind nicht 1:1 gleich, aber es gibt viel Ähnlichkeit zwischen den Gesichtern, die ich auf den Gemälden gefunden habe, und den Gesichtern meiner Freunde."

Menschen, keine Außenseiter

Diese Arbeit mit Kunstwerken mag für Kenner der Arbeiten von Nan Goldin atypisch sein. "Das Problem ist, dass ich seit 2003 nach einem Streit mit dem Verleger kein Buch mehr publiziert habe, und so wissen die Menschen nicht, wie sehr sich meine Arbeit in den letzten zehn Jahren verändert hat", erklärt Goldin. "Es ist sehr unterschiedlich zu meinen ikonischen Arbeiten, es ist freundlicher, sanfter, es geht mehr um Licht Es sind Werke, die die Menschen nicht so gut kennen!"

Was ihre früheren, bekannten Arbeiten betrifft, so wehrt sich Nan Goldin dagegen, dass sie Außenseiter fotografiert habe: "Die Menschen haben oft gesagt, vor allem, was meine Arbeiten über sexuelle Abhängigkeit betrifft, dass ich Außenseiter, an dem Rand der Gesellschaft Lebende fotografierte. Ich verstehe das gar nicht, denn wir waren in unserer Welt. Und waren so die Außenseiter von niemandem. Die Menschen, die ich fotografiert habe, waren meine Freunde. Wir fühlten uns nie als Außenseiter, als Drogenabhängige oder Prostituierte. Es ist wie die Liste der sieben Todsünden. Das hat nichts mit menschlichen Erfahrungen zu tun."

Für den Betrachter haben diese Bilder eine starke Faszination, die zum Teil auch eine Form des Voyeurismus ist, da es sich ja oft um sehr intime Szenen handelt. Nicht nur sexuell: etwa das Bild, wo ein Mann einen sterbenden Aids-Kranken an dessen Spitalsbett küsst.

Textfassung: Ruth Halle