Provokantes Buch in Deutschland erschienen
Der Kulturinfarkt
In Zeiten knapper Kassen stehen die öffentlichen Ausgaben allerorten auf dem Prüfstand, und immer wieder muss dann auch die Kultur mit Kürzung ihrer Mittel rechnen. Wenn es dann die Budgetnot erfordert und etwa Theater geschlossen oder Orchester entlassen werden, ist das Wehklagen groß.
8. April 2017, 21:58
In einem provokanten Buch werfen jetzt vier deutsche Autoren die Frage auf, ob die deutschsprachigen Länder überhaupt so viel Kultur brauchen, wie sie glauben, sich leisten zu müssen. Sie sprechen von einem "Kulturinfarkt" und meinen, es gebe in der Kultur von allem zu viel, und alle täten das Gleiche.
Kultur aktuell, 17.03.2012
Stich ins Wespennest
Es dürfte eines der größten Wespennester Europas sein, in das nun vier Autoren mit Vehemenz hineingestochen haben. Dieter Haselbach, Armin Klein, Pius Knüsel und Stephan Opitz sind langjährige Insider dessen, was man als Kulturbetrieb bezeichnet. Kulturpolitiker, Kulturjournalisten, Berater für kulturelles Management - die Mechanismen der Branche sind ihnen gut vertraut, und daran machen sie ihre Kritik fest, die es in dieser geballten Form noch selten zu hören gab.
Verselbstständigt hätte sich das kulturelle Geschäft, es kreise nur noch um sich selbst und um die Verwaltung der Fördergelder; Künstler, die von der öffentlichen Hand Leben, die würden erschlaffen - so wird die Schweizer Künstlerin Pipilotti Rist von den Autoren genussvoll zitiert.
Sinnlose "Kultur für alle"
Die vier Autoren rechnen in ihrem Buch "Kulturinfarkt" vor allem mit einem Konzept ab, das unter dem Schlagwort "Kultur für alle" dafür sorgen sollte, dass kulturelle Bildung möglichst weit ausstrahlt. Gut gemeint, aber nicht gut, so sieht es Mitautor Dieter Haselbach, Soziologe und Berate für kulturelles Management.
Die provokanteste These der Autoren des Kulturinfakts: Man könnte getrost die Zahl der kulturellen Einrichtungen in Deutschland halbieren. Nur mehr die Hälfte der Theater, der Museen, der Bibliotheken oder Volkshochschulen, es würde erstens - gemessen am Publikumsinteresse - ausreichen, zweitens dafür sorgen, dass die verbliebenen Institutionen mehr zur Verfügung hätten, und es gäbe drittens noch Geld, mit dem etwa Kultur, die von Laien oder von Immigranten ausgeübt wird, zu stärken, denn die würden derzeit zu wenig bekommen, weil sie im sich im Dschungel der Kulturförderungen nicht so gut zurechtfinden.
Angebot und Nachfrage
Unverkennbar auch die Hingabe, mit der Autoren die Wichtigkeit des Marktmechanismus von Angebot und Nachfrage betonen, und daran machen jetzt die Angegriffenen ihre Gegenkritik fest. Gerald Mertens, Chef der deutschen Orchestervereinigung, warnt vor Spielplänen, die sich ausschließlich am Mehrheitsgeschmack orientieren.
Andere formulieren weit weniger höflich: Von Schwachsinn, reinem Blödsinn oder plakativen Gedankenspielen war in Stellungnahmen namhafter Theater- und Museumsleute aus Deutschland in den letzten Tagen die Rede. Für viel Feind haben die Autoren schon gesorgt, viel Ehr wird ihnen vorerst nicht zuteil.
Service
Dieter Haselbach, Armin Klein, Pius Knüsel, Stephan Opitz, "Der Kulturinfarkt: Von Allem zu viel und überall das Gleiche. Eine Polemik über Kulturpolitik, Kulturstaat, Kultursubvention", Albrecht Knaus Verlag