1913 in Wien

Neuer Roman von William Boyd

Der schottische Bestseller-Autor William Boyd hat seinen neuesten Roman veröffentlicht: "Eine große Zeit" spielt im Wien des Jahres 1913 und handelt von Psychoanalyse, Erstem Weltkrieg und Spionage. Boyd liest Dienstag, 20. März 2012, im Wien Museum aus dem Roman.

Kultur aktuell, 20.03.2012

Als im Jahre 1913 Europa knapp vor dem Abgrund steht, ist Wien ein Biotop der Künstler und Intellektuellen, die die Moderne bereits eingeläutet haben. Die mystische Aura, die Figuren wie Klimt, Schiele, Kokoschka, Gustav Mahler oder Sigmund Freud umgibt, wirkt bis heute nach. Auch der schottische Schriftsteller William Boyd wurde davon erfasst.

Ein beeindruckter Autor

Vor vier Jahren kam Boyd erstmals nach Wien, um für die Zeitschrift "The Economist" einen Bericht über die Schiele-Sammlung im Leopold Museum zu schreiben. Auch das Sigmund-Freud-Museum in der Berggasse besuchte der Autor - und war sogleich tief beeindruckt.

Er sei fast alleine dort gewesen, erzählt Boyd. Draußen vor dem Eingang habe er das Türschild betrachtet, auf dem immer noch "Prof. Dr. Freud" geschrieben stand, und habe sich gedacht: Er hätte vor 100 Jahren ebenso hier sein und Freud konsultieren können.

Eine Liebesaffäre, die in der Katastrophe endet

Wien übe auf ihn eine eigenartige Faszination aus, erklärt William Boyd. In seinem neuesten Roman "Eine große Zeit" lässt er das Abenteuer hier beginnen. Protagonist ist der Londoner Jungschauspieler Lysander Rief. Dieser will in der Stadt der Tiefenpsychologie ein Leiden sexueller Natur behandeln lassen: Rief hat Orgasmus-Probleme und nimmt nicht etwa auf der Couch von Sigmund Freud Platz, sondern konsultiert einen gewissen Doktor Bensimon, der seine Praxis gleich um die Ecke hat.

Dort trifft er auf eine geheimnisvolle Künstlerin und lässt sich wenig später von ihr verführen. Lysander ist von seinem merkwürdigen Leiden geheilt, doch an dieser Stelle beginnt die Geschichte erst. Denn die Liebesaffäre endet in einer Katastrophe; der Protagonist muss aus Wien fliehen und gerät in weiterer Folge in die Wirren des Ersten Weltkriegs.

The Great War, wie man den Ersten Weltkrieg in England nennt, sei ein gesellschaftlicher Wendepunkt gewesen, meint William Boyd. Nach ihm habe die Moderne eingesetzt. Die Gesellschaft legte ihre Naivität ab, und es begann das Zeitalter der Unsicherheit. Der Protagonist seines Romans mache in seinem Leben eine ähnliche Entwicklung durch.

Eine unterhaltsame Spionagegeschichte

Auch wenn der Roman als Psychostudie eines jungen Mannes beginnt, in erster Linie will er unterhalten. Es wird nicht tief in menschliche Abgründe geblickt, sondern vor allem eine Spionagegeschichte erzählt, die auch für einen Kinofilm geeignet wäre.

William Boyd, der auch als Drehbuchautor arbeitet, beschreibt seine Schauplätze äußerst realistisch und hat sich bei seinen Recherchen in Wien ortskundig gemacht. Damit will er die Leser so gut es geht in die Handlung hineinversetzen.

Mit seiner Erzählmethode ist William Boyd erfolgreich, denn die Romane des 60-jährigen Schotten sind längst Bestseller. Am Dienstag, 20. März 2012, präsentiert Boyd in Wien seinen neuen Roman, der auf Deutsch im Berlin Verlag erschienen ist.

Textfassung: Walter Gerischer-Landrock