Fernab der Realität
Karl May und der Orient
"Ich wusste, dass der Orientale durchschnittlich ein ebenso schlechter Fechter als schlechter Schütze ist", heißt es in Band 1 der Karl-May-Gesamtausgabe, "Durch die Wüste". Karl May vertritt darin das Bild des "guten Christen und gaunerhaften Orientalen". Das war der Zeitgeist Ende des 19. Jahrhunderts.
9. April 2017, 17:52
Über seinen Gefährten Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abbul Abbas Ben Hadschi Dawud Al Gossarah weiß Karl May daher nichts allzu Gutes zu berichten:
Zitat
Halef war ein eigentümliches Kerlchen. Sein Gesichtchen verschwand vollständig unter einem Turban, der drei volle Fuß im Durchmesser hatte, und sein einst weiß gewesener Burnus, welcher jetzt in allen möglichen Fett- und Schmutznuancen schimmerte, war jedenfalls für einen weit größeren Mann gefertigt worden. Eine Eigenschaft besaß er nun allerdings, welche mir zuweilen recht unbequem werden konnte: Er war ein fanatischer Muselmann und hatte aus Liebe zu mir den Entschluss gefasst, mich zum Islam zu bekehren.
"Das hat mich immer geärgert, dass er den Kontrasts zu Ungunsten des Islams macht", sagt Mounir Fendri, Germanist an der Universität La Manouba in Tunis und einer der wenigen seines Landes, der Karl May gelesen hat. Kennengelernt hat er die Werke des Schöpfers von Kara Ben Nemsi während seines Studiums in Deutschland.
In Karl Mays Orient-Romanen nennt sich die Hauptfigur Kara Ben Nemsi. Zum "Kara" liefert May zwei unterschiedliche Erklärungen: einmal, es sei eine Verballhornung seines Vornamens Karl, ein anderes Mal: wegen seines schwarzen Bartes – kara heißt "schwarz".
Wer war Krüger Bei?
Mounir Fendri ist einer Karl-May-Figur nachgegangen, der in der Gesamtausgabe der Band Nummer 21 gewidmet ist: Krüger Bei. Dieser "Herr Krüger" hat wirklich existiert und war ein Deutscher im Dienste des Bey von Tunis.
Zitat
Welch ein Zusammentreffen! Dieser Mann also war "Krüger-Bei", der originelle Anführer der tunesischen Leibscharen! Ich hatte oft, sehr oft von ihm sprechen gehört. Er war keineswegs ein Afrikaner, sondern er stammte als der Sohn eines Bierbrauers aus der Streusandbüchse des Heiligen römischen Reiches deutscher Nation.
Kar May habe Sympathien für seinen Landsmann gehabt, ihn zum Oberst gemacht und damit aufgewertet, so Fendri. "In Wirklichkeit war Krüger ein armer Teufel. Er versandete und verbrachte 50 Jahre hier; es war kein glückliches Leben gewesen."
Vom Leben des Johann Gottlieb Krüger hatte Karl May aus zeitgenössischen Zeitschriften und Magazinen erfahren, die er überhaupt gerne konsultierte, um mehr über fremde Länder und Leute zu erfahren.
Karl Mays Band "Krüger Bei" kulminiert in einer reichlich absurden Geschichte: Winnetou, der Apachen-Häuptling, klingelt eines Tages an der Tür Kara Ben Nemsis im heimatlichen Dresden, um ihn zu überreden, gemeinsam zur Verfolgung eines Verbrechers nach Nordafrika aufzubrechen. Und das machen die beiden dann auch und kommen bis nach Tunis.
Zitat
Im Bardó fand ich Winnetou und Emery bei Krüger-Bei sitzend. Sie unterhielten sich von ihren Erlebnissen, wobei Winnetou allerdings, da er weder Arabisch noch viel Deutsch verstand, den Schweigsamen spielen musste. Er hatte sich zwar während seines Umganges mit mir verschiedene deutsche Worte zu eigen gemacht, doch reichte das noch lange nicht aus, an einem lebhaften Gespräche teilzunehmen.
Winnetou im Palast des Bey von Tunis im Vorort Bardo – diesen Regieeinfall muss man erst einmal haben. Der Germanist Mounir Fendri ist von derlei Verrenkungen in Karl Mays Orient-Erzählungen nicht überrascht, wie er überhaupt feststellt: Der Orient sei in diesen Geschichten eigentlich nur Staffage und Dekor. "Die Einzelheiten spielen keine besondere Rolle."