Rezeption in der DDR
Das Karl-May-Museum in Radebeul
"Meine Villa, welche wir natürlich ganz allein bewohnen, hat 1 Salon, 1 Musikzimmer, 1 Speisezimmer, 1 Studier- und 2 Bibliothekszimmer, 1 Schlafzimmer, 2 Gastzimmer, Stube für das Hausmädchen, Garderobe, Küche mit großem Herde, Obst- und andere Kammer, Waschhaus, Holz- und Kohlenhaus, Keller für Wein, Keller für Speisen, Wasserleitung für alle Zimmer und einen prächtigen Garten."
9. April 2017, 17:52
Das schrieb Karl May voller Stolz nach dem Einzug in seine Villa in Radebeul, der damals schicksten Wohnadresse im Speckgürtel der königlichen Residenzstadt Dresden. Seine Zeitgenossen nannten es das sächsische Nizza. Seine gesammelten Reiseerzählungen hatten Karl May zum wohlhabenden Bürger gemacht - und damit auch niemandem entging, dass hier ein berühmter Weltreisender logierte, ließ er an der Vorderfront des im Renaissance-Stil erbauten Gebäudes in goldenen Lettern den Namen "Villa Shatterhand" anbringen.
Einen ausgestopften Löwen, Bärenfelle, orientalisch anmutendes Mobiliar, Wasserpfeifen, kuriose Waffen und exotische Wandbehänge – in seiner "Villa Shatterhand" präsentierte sich Karl May als Abenteurer. Noch heute staunen Besucher über die Kuriositäten, die der bis dahin noch nicht weit Gereiste gerne als eigene Reisetrophäen ausgab.
Silberbüchse, Bärentöter und Henrystutzen
René Wagner, der Direktor des Karl-May-Museums in der "Villa Shatterhand", führt durch die Ausstellung. Den schmucklosen Schreibtisch aus Mahagoni soll May einst aus zweiter Hand erworben haben, als er noch nicht der gefeierte Autor war. Auch viele der Bücher, die sich in den deckenhohen Schränken der Bibliothek stapeln, begleiteten den Autor über Jahrzehnte. Sein angelesenes Wissen verstand May geschickt in seine Romane zu streuen.
May schlüpfte gerne selbst in die exotischen Kostüme, in die er seine Helden steckte. Im Museum sieht man ihn auf Fotos posieren - mit orientalischem Kopfschmuck als Kara Ben Nemsi oder im breitkrempigen Cowboyhut und Fransenshirt als Old Shatterhand. Für seine Kostümfotos ließ er sich sogar die Waffen seiner Romanhelden anfertigen: Silberbüchse, Bärentöter und Henrystutzen sind jetzt die Publikumsmagnete im Karl-May-Museum.
Besucher in der "Villa Shatterhand"
Mit dem Erfolg seiner Bücher wuchs auch das Interesse des Publikums an Karl Mays Leben. "Massen von Besuchern", notierte seine erste Frau Emma einmal, alle drei Minuten soll es geklingelt haben. Weil ihm seine Fans die Tür zu seiner "Villa Shatterhand" einzurennen drohten, ließ er an der Gartentür eigens ein Schild anbringen: "Besuche von Fremden werden nur nach vorheriger schriftlicher Anmeldung empfangen", hieß es darauf. Wer Glück hatte, wurde dennoch zum Meister vorgelassen.
Auch der Maler George Grosz wartete als Jugendlicher in diesem Empfangszimmer. 1910, zwei Jahre vor dem Tod Karl Mays, kam auch Egon Erwin Kisch. Der junge Reporter berichtete für die Prager Zeitung "Bohemia" über den schon damals meistgelesenen deutschen Autor.
Ergänzung Blockhaus
Bibliothek, Arbeits- und Empfangszimmer sind heute die einzigen Räume in der "Villa Shatterhand", die im Originalzustand zu besichtigen sind. Nach dem Tod des Autors ließ seine zweite Frau Klara im Garten ein Blockhaus im Stil des Wilden Westens errichten - nach einer Karl-May-Erzählung "Villa Bärenfett" genannt.
Seit 1928 beherbergt die "Villa Bärenfett" ein Indianermuseum. Während die ethnographische Sammlung auch nach dem Krieg mit viel Erfolg weitergeführt wurde, zog in das Haupthaus, in die "Villa Shatterhand", ein Kinderhort ein. Karl Mays Mobiliar kam in den 1950er Jahren ins westdeutsche Exil, nach Bamberg, ebenso wie der in Radebeul gegründete Karl-May-Verlag.
"Das Kapitel Karl May", verkündete das ostdeutsche Börsenblatt 1958, "ist in der DDR schon vor Jahren endgültig abgeschlossen worden". Seine Leser hielt das nicht ab, den Autor weiter zu verehren.
Unter der Decke gelesen
René Wagner führt Besucher des Karl-May-Museums gerne auf den nahen Friedhof in Radebeul-Ost: Dort steht das einem griechischen Tempel nachempfundene Grabmal Karl Mays. Sogar zu DDR-Zeiten kamen die Fans in Massen, um ihrem Idol nahe zu sein. Auch heute noch hinterlassen Leser auf dem Grabmal persönliche Briefe. Zwei ältere Paare, angereist aus dem nahen Dresden, haben Blumen mitgebracht. Sie sind Karl-May-Fans seit Kindheitstagen, erzählen sie, auch wenn ihr Lieblingsautor verpönt war. Gelesen wurde meist im Schutz der Nacht.
Thomas Kramer ist Privatdozent der Berliner Humboldt-Universität. Letzten September erschien sein Buch "Karl May: Ein biografisches Porträt". Darin geht Kramer auch der wechselhaften Geschichte der Karl-May-Rezeption in der DDR nach. "Es war eine Art Grauzone", sagt er. "Er war nicht verboten, aber auch nicht gerne gesehen."
Als in den 1960er Jahren im Westfernsehen die ersten Karl-May-Verfilmungen liefen, wusste man im Osten etwas dagegenzusetzen: Gojko Mitic, ein serbischer Schauspieler, erlangte als Hauptdarsteller in zahlreichen DEFA-Indianerfilmen eine ähnliche Popularität wie der West-Winnetou Pierre Brice.
In der DDR nicht gedruckt
Auch das Museum in Radebeul florierte. Für Karl-May-Fans wie Thomas Kramer wurde das Museum zu einer Pilgerstätte: "Ich habe meine Eltern jährlich einmal gezwungen hinzufahren." Nur gedruckt wurde Karl May jahrzehntelang nicht. Mit einer Ausnahme: Um dem Westen zu demonstrieren, dass die DDR kein Zensurstaat ist, erschien 1958 ein Heftchen mit Texten des Autors, allerdings ohne Namensnennung. Die DDR-Bevölkerung selbst sollte davon nichts erfahren.
Die Karl-May-Euphorie überlebte dennoch: Wer einen Band besaß, vererbte ihn der nächsten Generation weiter. Weil seine Exemplare schon so zerlesen waren, kam ein Fan im sächsischen Zwönitz in den 60er Jahren auf die Idee, sie auf seiner Schreibmaschine abzuschreiben - 21 Bände sollen es gewesen sein.
Thomas Kramer erinnert sich auch an eine Zeitungsannonce in den 1970er Jahren, in denen 51 May-Bände im Tausch für einen Trabant angeboten wurden - ein Auto, auf das man im Normalfall 15 Jahre warten musste. Wer sprachkundig war, konnte sich May-Bücher in Tschechien oder Polen besorgen, denn in den sogenannten sozialistischen Bruderländern war Karl May nicht verboten.
Nach der Wende
Lebhaft in Erinnerung ist René Wagner auch der Moment, in dem sich alles änderte: Da wurden plötzlich die 20 Jahre alten Winnetou-Filme aus dem Westen im DDR-Fernsehen gezeigt. Weihnachten 1982 war das.
Auch in Radebeul tat sich einiges: 1985 wurde die "Villa Shatterhand" für Besucher geöffnet und nach der Wende kam auch ein Großteil des noch intakten Inventars zurück aus dem West-Exil.
Warum sich das SED-Regime Anfang der 1980er Jahre plötzlich wieder an Karl May erinnerte? Für Thomas Kramer war es ein Akt der Verzweiflung: Die DDR versuchte, ihre Bürger bei der Stange zu halten - und dabei sollten historische Identifikationsfiguren helfen.
"Winnetou", Band 1, war der erste Karl-May-Roman, der 1983 erschien. Auflage: 100.000 Stück. Heute noch ein kaum bezahlbares Sammlerstück, obwohl die DDR-Zensur den Roman vor Erscheinen systemgerecht trimmte.
Auch eine Besucherin auf dem Friedhof in Radebeul hat sich damals so ein Exemplar ergattert. Warum sich die DDR wieder auf Karl May besann? Sie hat ihre eigene Theorie und meint, Honecker dürfte Karl-May-Fan gewesen sein.