Die wahre Geschichte

FBI

Es gehört natürlich zum Understatement eines investigativen Journalisten, dem Objekt seiner Neugier etwas Dämonisches zu unterstellen. Für das FBI existieren keine Grenzen, sagt Tim Weiner, der zweifache Pulitzerpreisträger, der nicht nur weiß, wie man ein spannendes Buch über die Geschichte der US-amerikanischen Bundespolizei schreibt, sondern auch, wie man ein solches Buch vermarktet.

Es ist aber zu befürchten, dass der vermeintliche Theaterdonner die Wahrheit, und nichts als die Wahrheit ist. Und die hat damit zu tun, dass, entgegen europäischen Gepflogenheiten, das Federal Bureau of Investigation Polizei, Verfassungsschutz, Spionageabwehr und Inlandsgeheimdienst in einem ist. Mit anderen Worten: ein unentwirrbares Geflecht aus Macht, Kompetenz und Willkür. Für einen Rechtsstaat ist das ein großes Dilemma, meint Tim Weiner.

Außerhalb des geltenden Rechts

Wie soll Geheimdienstarbeit innerhalb eines gesetzlichen Rahmens funktionieren, fragt Tim Weiner. Wie lassen sich Einbruch, Diebstahl, das Abhören von Telefonen, das Überwachen von E-Mails und mitunter willkürliche Verhaftungen mit geltendem Recht vereinbaren? Weiners Buch gibt eine klare Antwort darauf: gar nicht. Das war von Anfang an so intendiert. Und zwar von einem Mann, der ein halbes Jahrhundert lang das FBI nicht nur leitete, sondern der das FBI war: J. Edgar Hoover - jener Mann, der, so Tim Weiner, den modernen Überwachungsstaat erfunden hat.

Von der Erfassung der Fingerabdrücke über die DNA-Analyse bis zur biometrischen Erkennung, einfach jede moderne polizeitechnische Methode geht auf J. Edgar Hoover zurück, meint Tim Weiner. Wir leben in seinem Schatten, obwohl er seit vierzig Jahren tot ist.

Dabei war dieser J. Edgar Hoover alles andere als ein charismatischer Spieler im Machtgefüge der USA vom Ersten Weltkrieg bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts. Er war ein Bürokrat, über den man wenig zu erzählen hatte. Ein Muttersohn, von dem man nie wusste, ob er überhaupt engeren Kontakt zu irgendwem hatte. Er, der vom gläsernen Menschen träumte, blieb bis zu seinem Tod ein Rätsel.

Keine Freiheit ohne Kontrolle

Eines allerdings konnte man ihm nicht absprechen: Instinkt, Biegsamkeit und der Glaube daran, dass Freiheit ohne rigorose Kontrolle nicht zu haben sei. Hoover war überzeugt davon, dass die Existenz der USA täglich auf der Kippe stand, und er baute ab seinem 22. Lebensjahr eine Organisation auf, die zwar nicht formal, aber de facto über dem Präsidenten stand, weil auch er potenziell vom Feind beeinflusst werden und somit selbst zum Sicherheitsrisiko werden konnte.

Vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg, in der Phase des Kalten Krieges also, war Hoover überzeugt davon, dass die USA es mit Selbstmordattentätern und mit atomarem Terror zu tun bekommen würden, erzählt Tim Weiner. Der äußere Feind erkennt sofort den Augenblick der Unachtsamkeit und schlägt zu wie die Japaner in Pearl Harbor. Und irgendwie hat er 9/11 vorausgeahnt, meint Tim Weiner.

Gegen die kommunistische Bedrohung

In der Tat ist es nicht leicht, J. Edgar Hoover und das Vorgehen des FBI als paranoid zu verdammen. Die Bedrohungen waren ja wirklich da, es gab Versuche der Sowjets, den Staat zu destabilisieren, es gab eine nationalsozialistische Infiltration und dazu prominente Hitler-Verehrer wie Henry Ford und Charles Lindbergh, die politisch ernst zu nehmen waren.

Es gab bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts keine klare nationale Identität, dafür gab es durch die Einwanderung viele nicht zu überblickende Teilidentitäten und politische Konzepte, die Hoover als unamerikanisch empfand. Wobei nie klar war, was eigentlich amerikanisch sein soll. Der Kommunismus war es aus der Sicht des FBI jedenfalls nicht. Franklin D. Roosevelt richtete 1936, also lange vor dem Kalten Krieg, einen klaren Auftrag an Hoover.

Der kommunistischen Bedrohung entgegenzuarbeiten - das war bis in die 1950er Jahre das Kerngeschäft des FBI. Wobei Hoover sich von der Kommunistenjagd Joseph McCarthys distanzierte. Er hielt sich für den seriösen Jäger, bekam es aber ab den fünfziger Jahren immer häufiger mit Abweichungen vom simplen Freund-Feind-Schema zu tun. Die Bürgerrechtsbewegung und die Friedensbewegung überforderten ihn und das FBI.

Ein unkontrollierbarer Machtapparat

Fast zwangsläufig ist die Geschichte des FBI eine Geschichte J. Edgar Hoovers, denn auch nach seinem Tod blieb die Organisation das, wozu er sie gemacht hatte: ein Machtapparat, der nicht zu kontrollieren und nicht in die Schranken zu weisen ist. Als Richard Nixon seine politischen Gegner ohne das FBI vernichten wollte, flog er auf und musste zurücktreten. Als Bill Clinton seine Affäre mit Monica Lewinsky leugnete, war es das FBI, das ihn als Lügner enttarnte.

Kein Präsident und schon gar kein normaler Staatsbürger entgeht der Überwachung des FBI, dazu braucht es in der Praxis keine richterliche Weisung. Im Kampf gegen den Terror können derlei Geheimermittlungen Erkenntnisse zutage fördern, die auf legale Weise nicht zu haben wären.

Aber erstens hat die Geschichte gezeigt, wie oft die US-Geheimdienste Informationen falsch interpretieren, und zweitens sind die Kollateralschäden dramatisch. Denn eine Gesellschaft, die zugunsten der Überwachung ihre Freiheit aufgibt, hat im Kampf gegen den Terror verloren, sagt Tim Weiner, dessen fast 700 Seiten starkes Buch spannender ist als viele Krimis rund um mehr oder weniger brutale, desillusionierte oder clevere FBI-Agenten.

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Tim Weiner, "FBI. Die wahre Geschichte einer legendären Organisation", S. Fischer

S. Fischer