Roman von Bernd Cailloux

Gutgeschriebene Verluste

Ein Mann um die 60 sitzt im Berliner Café Fler, dem "Café der Übriggebliebenen", wie die Freundin seines besten Freundes das Lokal in Schöneberg bezeichnet. Die Stammgäste gehören alle ungefähr derselben Generation an, den sogenannten 68ern, die mittlerweile in die Jahre gekommen sind.

Hier verbringt der Ich-Erzähler des neuen Romans von Bernd Cailloux einen Großteil seiner Zeit, und der Autor lässt ihn mit feiner Ironie dahinräsonieren.

"Gutgeschriebene Verluste" heißt der Roman, der locker an Cailloux' 2005 erschienenes Buch "Das Geschäftsjahr 1968/69" anschließt. Die Personen sind älter geworden, die Melancholie ist deutlicher, Verluste sollen gutgeschrieben werden, aber das funktioniert nur bedingt:

"Ich habe offenbar ein Faible für diese ironisch-sachlichen Titel", meint Bernd Cailloux im Gespräch. "Das ist ja ein Begriff aus der Steuertechnik, aus der Buchhaltung, hundertprozentig kommt es nicht hin, Verluste sind Verluste."

Autofiktion

Mit trockenem Witz erinnert sich der Erzähler an seine Kindheit, an die wilden Jahre, an Drogenexzesse und eine daraus resultierende Hepatitis-C-Erkrankung, an Begegnungen mit Terroristen und an seine erfolgreiche Zeit als Geschäftsmann Ende der 1960er.

All dies ist direkt der Biografie des Autors entnommen, der seinem Werk den Untertitel "Roman memoire" gab - und mittlerweile von dieser Formulierung nicht mehr so überzeugt ist: "Das ist ein Untertitel, den ich in einer bestimmten Laune da mal hingeschrieben habe, mitten in der Arbeit drin, an irgendeiner Stelle, das gefiel mir ganz gut. Es gibt ja eigentlich den Ausdruck 'Autofiktion', das Genre Autofiktion oder die Schreibhaltung und die passt eigentlich viel besser."

Ironie hinter der Realität

Als Rahmenhandlung in der Erzählgegenwart dient eine späte Liebesgeschichte: Eines Tages betritt Ella das Café Fler, zwanzig Jahre jünger als der Protagonist und ebenfalls vom Leben gezeichnet - was die Beziehung nicht gerade einfach macht. Daraus entwickelt sich jedoch eine Komödie, "eine Beziehungskomödie - wobei man immer sagen kann: Tragödie plus Zeit ergibt eben Komödie", so Cailloux.

Und diese Komödie beherrscht Bernd Cailloux bestens. Er erkennt die Ironie hinter der oft tristen Realität, den Witz im eigentlich Tragischen und die Leichtigkeit im Dunkelgrau, sein Humor ist staubig und bissig und lässt nicht erahnen, dass Cailloux mit seinem Text vor allem am Anfang durchaus Probleme hatte: "Ich habe eigentlich gekämpft in der ersten Hälfte, also die ersten 150 Seiten, wusste nicht genau, wo es hingeht, und nachher wurde es dann eigentlich für mich angenehmer."

Von 68 bis heute

Eine durchgängige Handlung hat der Roman streng genommen nicht. Die Beziehung zwischen Ella und dem Erzähler dient als Träger, als Gerüst, an dem die Rückblenden des Romans aufgehängt werden. Rückblenden, die ein etwas anderes Gesellschaftsbild der jüngeren Vergangenheit entwerfen:

"Der Ich-Erzähler ist ja eine Figur, der durch diese Szene von 68 bis heute eben durchgeht und dabei auch ein paar Einsichten hat, die eben auch jüngeren Lesern irgendwas geben können", meint Cailloux. "Beispielsweise, was bei 68 immer als große Rebellion läuft, das hat natürlich auch eine Kehrseite: 68 gingen nicht nur die Studenten auf die Straße, sondern auch die Unternehmer. Und es ist etwas entstanden mit dem wir bis heute zu tun haben, nämlich Pop, oder die Kulturindustrie. Und wie sich diese Dinge gewandelt haben, das scheint in diesem Roman auf."

So ist "Gutgeschriebene Verluste" ein gelungener Versuch, das Altern der 68er-Generation in Worte zu fassen und die Vergangenheit mit der Gegenwart zu verknüpfen. Und möglicherweise ist dieser Roman noch nicht das letzte Wort des Erzählers alias Bernd Cailloux: "Vielleicht bahnt sich jetzt eine Trilogie an, das letzte Teil würde dann sozusagen im Altersheim spielen, wo die verschiedenen Protagonisten von 68 sitzen und sich immer noch ihre Theorien um die Ohren hauen."

Service

Bernd Cailloux, "Gutgeschriebene Verluste", Suhrkamp Verlag

Suhrkamp - Gutgeschriebene Verluste