Henzes "Wundertheater"

8. April 2017, 21:58

Wunderbare Dinge verspricht der Direktor einer Fahrenden Truppe, die nur wahre Christen sehen können, und ähnlich wie in "Des Kaisers neue Kleider" sehen sie natürlich alle. Auch wenn in Wahrheit ganz genau gar nichts auf der Bühne passiert. Doch im Gegensatz zum Andersen-Märchen wird der einzig Ehrliche am Ende von der Masse als Bastard beschimpft und niedergeschlagen.

Henzes "Wundertheater" beruht auf dem Text eines Zwischenspiels von Miquel de Cervantes. Ursprünglich als Oper für Schauspieler komponiert, schrieb er sie dann doch für Sänger als "richtige" Oper um. An der Wiener Volksoper sind Martina Dorak und Jörg Schneider als Theaterdirektoren zu hören. Am Pult des Wiener Volksopernorchesters steht Gerrit Prießnitz, der übrigens in der nächsten Saison Henzes "Pollicino" an der Wiener Staatsoper leiten wird.

Nestroypreisträger Thomas Schulte Michels inszeniert. Im "Wundertheater" hebt sich die clownesk geschminkte fahrende Truppe von der mittels Strumpfmasken gesichtslos gemachten Masse ab. Es ist Schulte Michels' Antwort auf Elias Canettis 1960 erschienenes Hauptwerk "Masse und Macht".

Mörderischer Bajazzo

Nach der Pause rast dann der eifersüchtige Canio (alias Ray M. Wade) in Leoncavallos' "Bajazzo" über die Bühne und meuchelt auf dieser coram publico Ehefrau Nedda (Melba Ramos) nebst Liebhaber Silvio (Mathias Hausmann) unter der Stabführung von Enrico Dovico, der - die Sänger werden's ihm danken - den Orchestergraben ein Stückchen tiefer hat fahren lassen.

Zwei Opern - zwei Zugänge zum Genre Theater; in beiden geht es um Täuschung und Niedertracht. Für Regisseur Thomas Schulte Michels eine aufgelegte Kombination.

Textfassung: Ruth Halle