Wirbel um Israel-kritisches Gedicht

Grass weist Antisemitismus-Vorwurf zurück

Weltweit hagelt es Kritik an dem vor zwei Tagen veröffentlichten Gedicht des Literaturnobelpreisträgers Günter Grass, in dem er Israel anprangert. Donnerstagabend hat sich Grass erstmals in Interviews zu den Antisemitismus-Vorwürfen gegen ihn geäußert, die er zurückweist. Im Gegenzug kritisiert Grass die "Gleichschaltung der Medien", wie er sagt, und wittert eine Kampagne gegen ihn.

Morgenjournal, 6.4.2012

"Gleichschaltung der Medien"

"Der durchgehende Tenor ist, sich bloß nicht auf den Inhalt des Gedichtes einlassen, sondern eine Kampagne gegen mich zu führen, und zu behaupten, mein Ruf sei für alle Zeit geschädigt", sagte Grass in einem Interview mit dem NDR. "Es ist mir aufgefallen, dass in einem demokratischen Land, in dem Pressefreiheit herrscht, eine gewisse Gleichschaltung der Meinung im Vordergrund steht", sagte der 84-Jährige.

Grass hatte am Mittwoch das Gedicht "Was gesagt werden muss" veröffentlicht. Darin wirft er Israel vor, mit seiner Iran-Politik den Weltfrieden zu gefährden. Er warnt zudem davor, dass die "Atommacht Israel" das iranische Volk "auslöschen" könnte.

Fehler eingeräumt

Auch in einem Interview mit dem Magazin "Kulturzeit" des Fernsehsenders 3sat wies Grass die Kritik an seiner Person als überzogen zurück. Allerdings räumte der Schriftsteller in dem "Kulturzeit"-Gespräch einen Fehler ein. Es wäre besser gewesen, nicht von "Israel" generell zu sprechen, sondern von der "derzeitigen Regierung Israels". An dieser Stelle habe er einen Fehler gemacht, den er nicht wiederholen würde. Grundsätzlich gelte aber: "Mit kritikloser Hinnahme hilft man Israel nicht. Das ist Nibelungentreue und wir wissen, wohin die führt." Die Lieferung eines sechsten U-Boots an Israel durch Deutschland, der Auslöser seiner Publikation, sei nun einmal "eine falsche Form der Wiedergutmachung".

Den Vorwurf des Antisemitismus wies Grass zurück. Angst vor Beifall von der falschen Seite, etwa von der rechtsextremen NPD, habe er nicht. "Dann wäre einem ja gleich das Maul versperrt, daran habe ich mich nie gehalten."

Umfassende Kritik

Der Kritik an Grass schloss sich am Donnerstag auch der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu mit harten Worten an. "60 Jahre lang hat Herr Grass seine Vergangenheit als Mitglied der Waffen-SS verschwiegen", erklärte er. "Daher überrascht es nicht, dass er den einzigen jüdischen Staat auf der Welt als größte Bedrohung für den Weltfrieden ansieht und ihm sein Recht auf Selbstverteidigung abspricht". Auch deutsche Politiker von Union, SPD und Grünen haben empört auf das Gedicht reagiert. Auch der Zentralrat der Juden in Deutschland erneuerte seine Kritik an Grass. Der Herausgeber der Zeitung "Jewish Voice from Germany" (Jüdische Stimme aus Deutschland), Rafael Seligman, sprach Grass den Anspruch ab, eine moralische Instanz zu sein.

Grass hat auch Verteidiger

Der Präsident der Akademie der Künste, Klaus Staeck, nahm Grass indes in Schutz. "Man muss ein klares Wort sagen dürfen, ohne als Israel-Feind denunziert zu werden", sagte er der "Mitteldeutschen Zeitung". Grass habe nur einer Sorge Ausdruck verliehen, die er mit einer ganzen Menge Menschen teile. Die Vereinigung "Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost" begrüßte das umstrittene Gedicht von Günter Grass als "aufrichtig" und verteidigte das Recht aller Deutschen, "die menschenverachtende Politik des Staates Israel zu kritisieren, ohne als Antisemiten diffamiert zu werden." Mit Recht weise Grass auf die "überlegene Stärke" der Atommacht Israel und auf die "Gefahr eines tödlichen Kriegs" hin, "der mit oder ohne Unterstützung der USA den ganzen Nahen Osten in Mitleidenschaft ziehen und möglicherweise auf die restliche Welt übergreifen würde", heißt es in einer Presseaussendung vom Donnerstag. (APA, Red.)

Übersicht

  • Naher Osten