Gegen Wahlmanipulation

Proteste erfassen russische Provinz

Wenige Wochen vor der Angelobung von Russlands Regierungschef Putin zum neuen alten russischen Präsidenten sorgen einmal mehr Proteste gegen manipulierte Wahlen für Aufsehen. Diesmal sind es jedoch nicht Massendemonstrationen in Metropolen Moskau, sondern Proteste in der russischen Provinz.

Morgenjournal, 11.4.2012

Aus Moskau berichtet Carola Schneider.

Protest weitet sich aus

Seit mehr als drei Wochen befinden sich in der südrussischen Stadt Astrachan ein Oppositionspolitiker und seine Unterstützer im Hungerstreik, um gegen Manipulationen bei der Bürgermeisterwahl zu protestieren. Nun schließen sich dem Protest auch bekannte russische Oppositionspolitiker an. Regierungschef Putin schweigt bisher zu diesem Fall, der in Russland viel Aufsehen erregt.

Abgemagert im Internet

Seit Mitte März befindet sich Oleg Schein im Hungerstreik und mit ihm mehr als ein Dutzend Unterstützer. Der Politiker der Oppositionspartei "Gerechtes Russland" verlor Anfang März bei den Bürgermeisterwahlen in der südrussischen Stadt Astrachan. Offiziell siegte der Kandidat der Regierungspartei "Einiges Russland" mit 60 Prozent der Stimmen, Schein erhielt 30 Prozent. Doch Manipulationsvorwürfe sorgten für Schlagzeilen und Schein trat in Hungerstreik, um Neuwahlen zu erreichen: "Wir brauchen eure Unterstützung", appelliert der inzwischen deutlich abgemagerte Politiker in einem Internetvideo an die Bevölkerung. Kein Gesetz in Russland greife ohne Unterstützung der breiten Massen. Deshalb fordere er alle auf, die in einem freien Land leben wollten, ihn zu unterstützen und den Fall publik zu machen.

Überwachungsvideos verschwunden

Mittlerweile schlägt die Protestaktion in ganz Russland hohe Wellen. Der populäre Oppositionsführer und Blogger Alexej Nawalnij ist zu den Hungerstreikenden gereist, um sie zu unterstützen, und in Moskau finden seit einigen Tagen Solidaritätskundgebungen statt. Der Chef der Oppositionspartei "Linke Front", Sergej Udalzow, ist ebenfalls in den Hungerstreik getreten, ebenso wie fünf weitere Sympathisanten der südrussischen Oppositionellen. Nun müsse endlich der Gouverneur in Astrachan oder Regierungschef Putin reagieren, bevor es zu spät sei, fordert der Oppositionelle Boris Nemzow: "Es hängt alles vom Gouverneur und von Putin ab. Es ist klar, dass dem Gouverneur untersagt wurde, die Forderungen der Streikenden zu erfüllen. Ganz plausible Forderungen übrigens. Sie wollen einfach die Überwachungsvideos von den Wahllokalen sehen, die auf mysteriöse Weise verschwunden sind. Die Regierungspartei, die Gauner und Diebe, die wollte wohl so die Wahlen fälschen."

Schweigt Putin weiter?

Tatsächlich haben die Behörden in Astrachan schon mehrere Verfahren wegen Manipulation bei der Wahl eingeleitet. Allerdings, so wird betont, hätten diese das Resultat nicht wesentlich beeinflusst. Regierungschef Putin schweigt zum Fall der Hungerstreikenden. Bisher jedenfalls. Heute Mittwoch wird er das letzte Mal als Regierungschef vor dem Parlament seinen Rechenschaftsbericht ablegen und dabei von der Opposition auch zum Fall Astrachan befragt werden.

Protestbewegung erfasst die Provinz

Die südrussischen Hungerstreikenden sind übrigens nicht die einzigen Oppositionellen, die in der russischen Provinz von sich reden machen. In mehreren Städten haben zuletzt bei Bürgermeisterwahlen unabhängige Kandidaten gesiegt. Unter anderem in der Hauptstadt der russischen Automobilindustrie, Togliatti, und in der Großstadt Jaroslawl, rund 300 Kilometer außerhalb von Moskau. Die Proteststimmung gegen die alles dominierende Staatsmacht ist von den Straßen der russischen Großstädte in die Provinz übergeschwappt.