Gerichtshof weist Klage ab
Straßburg: Inzestverbot rechtens
Das deutsche Inzestverbot für Geschwister stellt keinen Verstoß gegen das Grundrecht auf den Schutz des Familienlebens dar. Zu diesem Urteil ist der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg gekommen.
23. November 2023, 15:32
Mittagsjournal, 12.4.2012
Klage abgewiesen
Ein Mann aus Sachsen hatte jahrelang mit seiner Schwester in einer Liebesbeziehung gelebt, mit ihr vier Kinder gezeugt, war dafür mehrmals in Deutschland zu Haftstrafen verurteilt worden und hatte in Straßburg dagegen Beschwerde eingelegt. Die Straßburger Richter wiesen nun die Klage des Mannes ab.
In dieser Frage gebe es in den 47 Mitgliedsländern des Europarats keinen Konsens, stellten die Straßburger Richter fest. Somit stehe den deutschen Behörden ein "weiter Beurteilungsspielraum" zu. Im übrigen hätten die Gerichte in Deutschland bei der Verurteilung des Klägers eine "sorgfältige Abwägung der Argumente" vorgenommen. Das Straßburger Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Der Beschwerdeführer kann dagegen binnen drei Monaten Rechtsmittel einreichen.
Beschwerden abgewiesen
Der Kläger war mit drei Jahren in ein Kinderheim gekommen und anschließend in einer Adoptionsfamilie aufgewachsen. Erst mit 24 Jahren lernte er seine um acht Jahre jüngere Schwester kennen. Zwischen den beiden entwickelte sich eine Liebesbeziehung. Das Paar lebte mehrere Jahre zusammen und bekam zwischen 2001 und 2005 vier Kinder, von denen zwei leicht behindert sind.
Der Mann wurde daraufhin wegen Inzests angeklagt und verurteilt. Er zog bis vor das deutsche Verfassungsgericht, das seine Beschwerde im Februar 2008 abwies. Der Mann musste seine Strafen absitzen. Seinem Anwalt Endrik Wilhelm zufolge verbrachte er drei Jahre und einen Monat hinter Gittern. Die Verfahren gegen die Schwester, die geistig leicht zurückgeblieben ist, wurden hingegen eingestellt.
"Familie zerstört"
Der Leipziger wirft der deutschen Justiz vor, die Strafermittlungen gegen ihn hätten seine eigene Familie zerstört. Nach Angaben seines Anwalts trennte sich das Paar aufgrund der Verurteilung des Mannes. Drei der Kinder leben heute in Pflegefamilien, die jüngste Tochter ist bei der Mutter.
"Blutschande"-Paragraf in Österreich
Paragraf 173, Absatz 2 des deutschen Strafgesetzbuches verbietet den Beischlaf leiblicher Geschwister miteinander und bedroht diese Tat mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren bzw. einer Geldstrafe. Zur Tatzeit Minderjährige bleiben dabei straffrei. Im österreichischen Strafgesetzbuch gilt laut dem "Blutschande"-Paragrafen 211, Absatz 3 für das gleiche Delikt eine Strafandrohung von bis zu sechs Monaten. (APA, Red.)