Neu aufgelegter Roman von Hugo Bettauer

Die Stadt ohne Juden

Der charismatische und populistische Bürgermeister von Wien Karl Lueger zählt neben Jörg Lanz von Liebenfels und Georg von Schönerer zu den Hauptideologen des österreichischen Antisemitismus um die Jahrhundertwende. Und die bevorstehende Umbenennung des Dr.-Karl-Lueger-Rings in Universitätsring zeigt, wie aktuell diese historisch höchst unrühmliche Tatsache ist.

Wichtig ist allerdings, mit welchen Argumenten Karl Lueger und seine Mitstreiter gegen das Judentum propagandistisch vorgingen. Die Juden würden sich in Wien nicht nur als Bankiers und Unternehmer hervortun, sondern auch die wichtigen Positionen in der Presse, in der Kunst, ja, auch im Handwerksbereich für sich beanspruchen. Man müsse also die Vorherrschaft des Judentums brechen - um Arbeitsplätze zu schaffen, so Lueger. Genau mit diesem Szenario setzt Hugo Bettauers Roman ein.

Fast ein Lueger

Wien im Jahr 1922. Bundekanzler Dr. Karl Schwertfeger fährt im offenen Wagen in Richtung Parlament. Die Straßen sind gesäumt von Passanten, die "Hoch der Befreier Österreichs!" rufen. Jeder weiß, was dieser Tag mit sich bringen wird: Das Judengesetz wird im Parlament beschlossen. Schwertfeger führt in seiner Reden noch einmal alle Argumente an - und das klingt, als ob Karl Lueger auf dem Rednerpodest stünde.

Keine Frage, das Judengesetz wird beschlossen. Alle Juden müssen die Stadt alsbald verlassen - und Wien wird somit "Die Stadt ohne Juden", wie Hugo Bettauers Romantitel lautet. Die jüdische Bevölkerung von Wien und ganz Österreich fällt zwar keiner physischen Vernichtung zum Opfer, doch diese Menschen müssen emigrieren und ihren festen Besitz günstig an Arier verkaufen.

Beim Wort genommen

Was nun Hugo Bettauer im Folgegeschehen macht, ergibt eine irrwitzige Romanstrategie, denn er nimmt die Rede des Kanzlers Schwertfeger buchstäblich beim Wort. Wenn die Juden so geschickt, ja, so klug sind, um in der Wirtschaft, im Handel, in Kunst, Kultur und in der Presse die wichtigen Positionen einzunehmen, wenn sie es sind, die ihr Geld in Cafés, Bars, Restaurants und für Schmuck und Mode ausgeben, dann bleibt die Frage, was eben nach ihrem erzwungenen Fortgang passiert.

Der Autor führt das Ergebnis des Judengesetzes genüsslich vor: Mit der österreichischen Wirtschaft geht es steil bergab. Die Theater bleiben leer und viele müssen schließen, das gleiche Schicksal trifft Cafés, Restaurants, elegante Modehäuser, Juweliere und Autohändler. Und die süßen Wiener Mädel haben keine jüdischen Kavaliere mehr, die ihnen jeden Wunsch von den Augen ablesen. Ihre arischen Pendants geben ihr Geld lieber beim Fußball und im Wirtshaus aus. Die blonde, üppige Juno, ein schon etwas in die Jahre gekommenes Mäderl, weiß wovon sie spricht.

Keine so gute Idee

Hugo Bettauer verknüpft sein Romangeschehen auch mit einer Liebesgeschichte. Der Hofrat Franz Spineder ist der Typus des "Altösterreichers": gebildet, der Kunst zugetan, treuer Diener des Staates, dabei demokratisch und liberal gesinnt. Dass seine Tochter Lotte den Juden Leo Strakosch liebt, stört ihn ganz und gar nicht. Er schätzt den jungen Mann, der mit seinen Zeichnungen und Radierungen über die Landesgrenzen hinaus bekannt geworden ist. Doch das Judengesetz zwingt Strakosch zur Emigration.

Die Idylle ist dahin, aber Strakosch ist eben Jude und daher klug und gewieft. Er geht zwar nach Paris, doch kehrt er alsbald nach Wien unter falschem Namen zurück. Und Strakosch wird zum Agitator gegen das Judengesetz. Mitstreiter findet er rasch, und dies bei den liberalen Gewerbetreibenden und Unternehmern, deren Geschäfte unter dem Weggang der Juden leiden. Doch auch dem einfachen Mann von der Straße dämmert es alsbald, dass die Judenverbannung keine so gute Sache gewesen ist. So kommt es wie es kommen muss: Mit Hilfe sozialdemokratischer und liberaler Kräfte wird das Judengesetz zu Fall gebracht. Leo Strakosch bekommt nicht nur seine Lotte, sondern wird zum Held des Tages. Der neue Bürgermeister von Wien begrüßt ihn mit den Worten "Mein lieber Jude!"

Tiefe Ironie

Beim Lesen der Schlusspassagen ballt man unwillkürlich die Fäuste, denn das versöhnliche Romanende ist rein literarische Fiktion. Der Schriftsteller und Journalist Hugo Bettauer wurde 1925 von einem österreichischen Nazisympathisanten erschossen. Und was in Wien und Österreich nach 1938 geschah, weiß man.

Doch vielleicht erscheint die Neuauflage von Bettauers Roman "Die Stadt ohne Juden" zur rechten Zeit. Antisemitismus und Fremdenhass sind keine Kavaliersdelikte, sind auf keinen Fall duldbar. Allerdings zeigen der feine Witz und die tiefere Ironie in Bettauers Roman auch eines: Antisemiten und Fremdenhasser sind meist schlichte Geistesnaturen, also ausgewachsene Rindviecher. Als solche sollte man ihnen mit leichtem Spott und guten Argumenten begegnen. Bettauers Roman kann dabei als Vorbild dienen.

Service

Hugo Bettauer, "Die Stadt ohne Juden. Ein Roman von übermorgen", Metroverlag 2012

Metroverlag - Die Stadt ohne Juden