Schwerpunktland Lateinamerika

Lola Arias mit "Melancholie und Protest"

Die Wiener Festwochen widmen unter dem Titel "La vida despues - Das Leben danach" dem jungen lateinamerikanischen Autorentheater einen eigenen Schwerpunkt. Am Sonntag, 13. Mai 2012, kam im brut im Künstlerhaus das erste Stück aus der Reihe "Das Leben danach" zur Uraufführung: "Melancholie und Protest".

"Melancholie und Protest" ist ein Auftragswerk der Wiener Festwochen, in dem sich die argentinische Schriftstellerin, Musikerin und Theatermacherin Lola Arias auf sehr persönliche Weise mit den Folgen der Militärdiktatur auseinandersetzt.

Kulturjournal, 14.05.2012

Autobiografisches Stück

Dies sei ein Stück über eine Tochter, die die Depressionen der Mutter zu verstehen versucht, heißt es gleich zu Beginn von "Melancholie und Protest". Die Bühne spartanisch ausgestattet, einige Möbel und Zimmerpflanzen, in der Mitte ein kleines Podium, das manchmal mit einem Vorhang verhüllt zur Projektionsfläche wird.

"Wann hast du begonnen Antidepressiva zu nehmen?", fragt Lola Arias, die am vorderen Bühnenrand steht und als Erzählerin immer wieder in das Bühnengeschehen eingreift. "In dem Jahr, als du geboren wurdest", antwortet die Mutter. Lange Zeit habe sie sich mit der Frage beschäftigt, ob tatsächlich sie der Auslöser für die Depressionen ihrer Mutter gewesen sein könnte, so Lola Arias:

"Dieses Stück fragt nach dem Zusammenhang zwischen den Depressionen meiner Mutter, persönlichen Erfahrungen und politischen Ereignissen. War ich es, meine Geburt, die 1976 die Depressionen ausgelöst hat? Oder vielleicht die Militärdiktatur, die im selben Jahr das Land in eine tiefe Krise gestürzt hat. Das Land, das damals schwer unter den politischen Veränderungen gelitten hat."

Depressionen wegen Diktatur

Wenn man eine Liste derer machen würde, die infolge der Diktatur Depressionen bekamen, wie viele wären es, fragt Arias dann auch im Stück. Wie viele stünden auf dieser Liste, 30.000, 50.000, eine Million? Schnell wird klar, dass die Ursachen vielschichtiger sind, die Depression Ausdruck einer allgemeineren Krise sein muss.

Anfangs wollte Arias ihre Mutter selbst auf die Bühne holen, diese habe aber abgelehnt, so Arias. Und so habe es lange gedauert, bis sie die für sie richtige Form gefunden habe: "Ich denke, das war die schlimmste Erfahrung meines Lebens. Auch noch jetzt denke ich mir jedes Mal, wenn ich auf die Bühne gehe: Warum erzähle ich diese doch sehr intime Geschichte? Ich habe schon viel dokumentarisches Theater gemacht, aber bisher immer nur die Geschichte von anderen Menschen erzählt. Und dann ist das natürlich einfacher, weil man die richtige Distanz hat, um das dann auch auf die Bühne zu bringen."

Die Geschichten anderer hat Lola Arias unter anderem in ihrem Stück "Das Leben danach" erzählt, das 2009 im Rahmen des Steirischen Herbst zu sehen war. Die Schauspieler spielten sich darin selbst, erzählten von ihren Erinnerungen an die Videla-Diktatur. Die Wiener Festwochen wählten in Anlehnung an diese Produktion auch den Titel für den heurigen Lateinamerika-Schwerpunkt.

Gewalt, Korruption und Drogen

Jorge Hugo Marìn thematisiert in seinem Stück "Familienangelegenheiten" die Doppelmoral einer kolumbianischen Generation, aufgewachsen zwischen Gewalt, Korruption und der Macht der Drogenkartelle.

Guerilla und Bandenkriege stehen im Mittelpunkt der mexikanischen Produktion "Die Sprache des Feuers". Und der chilenische Theatermacher Guillermo Calderon setzt sich im Zweiteiligen "Villa + Ansprache" mit der Pinochet-Diktatur auseinander und diskutiert unter anderem darüber, was mit der Villa Grimaldi, dem größten Folterzentrum der Militärdiktatur, geschehen solle.

Krise als Weckruf

Dass die Zeit der Diktaturen noch lange nicht abgeschlossen sei - weder in den Köpfen der Menschen, noch auf juristischer Ebene -, hätten gerade die letzten Jahre in Argentinien gezeigt, so Lola Arias. Viele Fälle seien neu aufgerollt worden, es sei zu zahlreichen Verurteilungen gekommen. Doch zugleich dürfe man nicht den Blick für die Gegenwart verlieren, denn die Gefahr bestehe, dass unter dem Deckmantel der Aufarbeitung aktuelle Probleme verschleiert werden.

Arias stellt in "Melancholie und Protest" ihrer Mutter eine Gruppe von Pensionisten gegenüber, die am Ende die Kontrolle über das Stück übernimmt: Wir haben es satt, Statisten zu sein, rufen sie. Wir machen weiter, haben etwas zu sagen.

Die Gruppe steht konträr zur Mutter, veranschaulicht die unterschiedlichen Möglichkeiten, wie man mit einer Krisensituation umgehen kann, doch die Bilder der demonstrierenden Pensionisten seien zugleich auch alltägliche Realität in Argentinien, so Arias. Zwischen 1998 und 2002 brach die argentinische Wirtschaft völlig zusammen und stürzte das Land in eine tiefe Krise, eine Krise, so Lola Arias, die zugleich aber auch ein Weckruf gewesen sei:

"Zehn Jahre lang, vor allem in den 90ern, waren wir wie eine schlafende Schönheit, lebten in einer Traumwelt, in der wir glaubten, alles sei möglich. Als die Wirtschaft 2001 zusammenbrach merkten wir, dass wir in Wirklichkeit schon am Boden lagen. Es gab dann wieder verstärkt politische Bewegungen, Diskussionen - allgemein mehr Engagement. Und das war glaube ich eine Konsequenz der Krise."

Kreatives Potenzial

Lola Arias begann 2001 eigene Stücke zu schreiben, ihre erste Aufführung fiel mitten in die Zeit der Krise: "Wir haben das Stück damals in einer baufälligen Halle der Universität uraufgeführt. Das Dach war kaputt und während der Aufführung hat es auf die Bühne geregnet. Das war für mich ein Bild der Krise."

Doch, so Arias, aus der Krise habe das argentinische Theater durchaus auch kreatives Potenzial geschlagen. So zu sehen auch in "Melancholie und Protest", ein Theaterstück, unmittelbar und direkt, das berührt, und zugleich der Krise immer wieder auch mit einem Augenzwinkern begegnet.

Service

Wiener Festwochen - Melancholie und Protest