Alles rund um Drogensucht
Künstliche Paradiese
"Paradis Artificiels", also "Künstliche Paradiese" nennt sich eine Aktion, die derzeit im Rahmen von "Into the City" stattfindet. Mobile Forschungen zu Drogen, Rausch und Musik werden da geheimnisvoll im Untertitel versprochen.
8. April 2017, 21:58
Konkret kann man sich da etwa auf einen Spaziergang begeben, begleitet von anonymen Lebensgeschichten, in denen Drogen eine wichtige Rolle gespielt haben oder noch immer spielen. Ausgangsort und Zentrum der Aktion ist das Paradis-Wohnmobil, das als Radio-Station, Diskussionsforum und Konzertbühne an verschiedenen Orten in Wien genutzt wird.
Kulturjournal, 18.05.2012
Der Spaziergang beginnt als Blindflug. Ein sogenannter Trip-Berater führt einen an der Schulter an den noch unbekannten Ausgangsort. Die Verunsicherung soll sensibilisieren für das, was noch kommt. Dann steht man auch schon da, allein gelassen, in der Hand ein Handy und eine unbekannte Nummer, die man wählen soll.
Die Stimme, die sich da meldet, bleibt anonym, gibt aber nach und nach immer intimere Details aus ihrem Leben preis - ein Leben, das sich rund um Drogen gedreht hat oder noch immer dreht. Zwischen den Anrufen kommen immer wieder SMS mit Handlungsanweisungen herein. Man soll einen Ort aufsuchen, der sich gut als Versteck eignet, oder einer Person folgen, die man sympathisch findet, oder in ein Lokal gehen, in dem man gerne isst. An vertrauten Plätzen wird man so mit fremden Biografien konfrontiert. Entwickelt hat das Konzept der deutsche Künstler Jörg Matthaei.
"Radio Artificielle" aus dem "Camping Paradis"
Insgesamt 17 Audioporträts wurden gestaltet. Die jeweiligen Lebensläufe werden den Gästen je nach Musikgeschmack zugewiesen. Sensible Biografien mit Tiefgang stehen da ebenso zur Auswahl wie harte und brachiale Erfahrungsberichte.
Ausgangsort und Ziel des Spaziergangs ist das Wohnmobil "Camping Paradis". Das schlägt jeden Tag an einem anderen Ort in der Stadt seine Zelte auf. Am Freitag, 18. Mai 2012, steht es etwa am Nußdorfer Wehr, am Samstag am Parkdeck der Shopping City Nord und am abschließenden Sonntag im Gesundheitszentrum Süd am Wienerberg.
Vom Wohnmobil aus geht auch das tägliche "Radio Artificielle" auf Sendung. Projektinitiator Jörg Matthaei diskutiert dort mit Wissenschaftlern, Polizisten und anderen Experten zum Thema Drogen. Ein Thema ist da etwa, so erzählt er, die Geschichte der Rauschmittel.
Letzten Mittwoch war der Toxikologe Rainer Schmid bei "Radio Artificielle" zu Gast. Mit der Aktion "Check it!" besucht er Musikveranstaltungen und bietet den Jugendlichen dort eine kostenlose Analyse der gerade kursierenden synthetischen Rauschmittel an. Als Mitte der 90er Jahre von England aus Partydrogen wie Ecstacy aufkamen, erzählt Schmid, entstand plötzlich eine gänzlich unbekannte Drogenszene. Es ging jetzt nicht mehr um die Junkies vom Karlsplatz, sondern um lebenslustige junge Menschen, die mitten im Studium oder Beruf standen.
Die Hemmschwelle, zu Drogen zu greifen, hat sich seitdem bedenklich gesenkt, das Internet bietet zudem ganz einfachen Zugang. Immer breiter wird der Markt, weil der Experimentierfreudigkeit vieler selbsternannter Drogenexperten scheinbar keine Grenzen gesetzt sind.
Sensibilisierendes Projekt
Projektinitiator Jörg Matthaei war bereits 2010 bei den Wiener Festwochen zu Gast. In seiner Aktion "Schwellenland" hat er damals eine Ausbürgerung in zehn Tagen inszeniert. Das aktuelle Projekt habe ihn, so meint Matthaei, auf jeden Fall sensibilisiert.
Am Freitag, 18. Mai 2012, diskutieren die Theaterwissenschaftlerin Brigitte Marschall und der Drogenkoordinator des Landeskriminalamts Wien, Wolfgang Preiszler, in Radio Artificielle; an den Turntables wird DJ Electric Indigo für Stimmung sorgen. Ab 18 Uhr am Nußdorfer Wehr.
Textfassung: Ruth Halle