Kunst in der Kohlemine
Manifesta 9 eröffnet
Die Manifesta gehört neben der Biennale in Venedig und der Documenta in Kassel zu den wichtigsten und meist beachteten Veranstaltungen für zeitgenössische Kunst in Europa. Sie findet alle zwei Jahre an wechselnden Austragungsorten statt. Heuer ist das belgische Genk an der Reihe.
8. April 2017, 21:58
Schauplatz für die Manifesta 9 ist eine Kohlemine, die in den 1980er Jahren geschlossen wurde - für die Manifesta-Leitung der ideale Ort, um mit künstlerischen Mitteln die Geschichte der Industrialisierung zu reflektieren.
Mittagsjournal, 02.06.2012
Die Manifesta sucht nicht den chicen Kunstzirkus der Metropolen wie andere Biennalen. Sie nistet sich an wilden Orten ein, wie etwa im Vorjahr in einem aufgelassenen Gefängnis im südspanischen Murcia, um das Thema Migration zu verhandeln, oder heuer in einer alten Kohlemine um die aktuelle Krise der Industrialisierung und des Kapitalismus zu reflektieren. Die wunderschöne Jahrhundertwende-Architektur ist außen top renoviert, innen halbverfallen, so wie sie die 100.000 Bergleute in den 1980er Jahren verlassen haben. Manifesta-Chefin Hedwig Fijen betrachtet die Kohle als eine Metapher für den gesellschaftlichen Wandel.
Nicht nur zeitgenössische Kunst
An diesem Ort erkennt man manche der Kunstwerke erst auf den zweiten Blick als solche, wie etwa den fast 30 Meter langen dunkelschimmernden Kohleteppich von Richard Long. Auch die 1200 Kohlesäcke von Marcel Duchamp, wie er sie schon 1938 in der Surrealismus-Schau in Paris von der Decke hängen ließ, wurden für Genk rekonstruiert und vermitteln in alter Frische ein bedrückendes Gefühl, wenn man sich darunter stellt.
Es ist das erste Mal, dass diese Biennale für zeitgenössische Kunst heuer auch historische Arbeiten zeigt. Bisher war sie der Entdeckung junger Zeitgenossen vorbehalten. Aber auch die gibt es noch: wie etwa die Niederländerin Nicoline van Harskamp, die den politischen Briefwechsel von anarchistischen Linken aus den 1970er und 80er Jahren von Schauspielern nachspielen ließ und das auf Video festhielt.
Die Belgierin Anna Torfs etwa demonstriert in einer Kunstinstallation, wie erste synthetische Farben aus Kohleabfällen produziert wurden und wie die IG Farben später das Cyklon B für Hitler bereitstellte. Eine sehr politische Kunstschau also, die heuer nur 39 Zeitgenoss/innen präsentiert, dafür aber erstmals eine großartige kulturgeschichtliche Aufarbeitung bietet. Da hört man etwa Songs, mit denen die nach dem Krieg herbeigerufenen Gastarbeiter ihr Heimweh übertönten.
Die Manifesta im belgischen Genk ist geöffnet bis 30. September.
Textfassung: Ruth Halle