Das Schweigen der Natur
Der stumme Frühling
Im Herbst 1939 entdeckte der Schweizer Chemiker Paul Hermann Müller die insektentötende Wirkung von Dichlordiphenyltrichlorethan, kurz DDT genannt. Seiner durchschlagenden Wirkung wegen, wurde das Insektizid in den folgenden Jahren weltweit eingesetzt.
8. April 2017, 21:58
DDT wurde zur Läusebekämpfung in der deutschen Wehrmacht, ebenso wie zur Eindämmung von Fleckfieber und Malaria in der US-Army verwendet. Nach dem Krieg galt DDT als flächendeckende Wunderwaffe in Sachen landwirtschaftlicher Schädlingsbekämpfung. In den USA ging man mit tausenden Tonnen DDT gegen Schwammspinner und Ulmensplintkäfer vor, auch in anderen Ländern war man alles andere als zimperlich, was den Einsatz der biozidalen Keule betraf.
Auch wenn es in den 1950er Jahren bereits erste Berichte darüber gab, dass DDT nicht nur schädlichen Insekten den Garaus machte, sondern auch Fische und Vögel in alarmierendem Ausmaß dezimierte. An eine Eindämmung oder gar ein Verbot des DDT-Einsatzes dachte damals, in Zeiten ungebrochener Chemiebegeisterung, niemand.
Bis die US-amerikanische Biologin Rachel Carson 1962 ihren Bestseller "Der stumme Frühling" herausbrachte, ein profund recherchiertes und eingängig geschriebenes Buch über Risken und unerwünschte Nebenwirkungen des massiven DDT-Einsatzes. "Der stumme Frühling" – den poetischen Titel ihres Werks erklärt Rachel Carson so.
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Wenn der Frühling naht, wird er nun in den Vereinigten Staaten in immer größeren Gebieten nicht mehr von seinen Vorboten, den zurückkehrenden Vögeln, angekündigt. Wo einst am frühen Morgen der herrliche Gesang der Vögel erschallte, ist es merkwürdig still geworden. Die gefiederten Sänger sind jäh verstummt, Schönheit, Farbe und der eigene Reiz, die sie unserer Welt verleihen, sind ausgelöscht; dies hat sich alles ganz schnell und heimtückisch ereignet.
Eben des massiven Einsatzes von DDT wegen, der in den USA für ein dramatisches Vogelsterben, nicht nur bei Buntspecht, Weidenmeise und Wanderdrossel sorgte. Rachel Carsons Anti-DDT-Pamphlet sorgte für enragierte Diskussionen in den Vereinigten Staaten, aber auch in Europa, Präsident Kennedey lobte das Buch und berief die Autorin in eines seiner Berater-Komitees.
Der deutsche Umwelthistoriker Joachim Radkau, der ein Vorwort zur Neuauflage von Carsons Klassiker beigesteuert hat, rühmt die akkurate Recherche und die "klare, schöne, eindringliche Sprache" der Autorin.
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Rachel Carson war eine große Warnerin, aber sie trat betont sachlich auf und vermied aufgeregte Töne. Es gelang nicht, sie zur Hysterikerin abzustempeln, auch wenn ihre Gegner das versuchten. Undenkbar, dass sie mit schriller Stimme ins Mikrophon geschrien oder eine subjektiv empfundene Angst zum Argument gemacht hätte. Stets legte sie in ihrem Stil großen Wert auf gute, ja elegante Form.
Dabei litt Carson während der Arbeit an ihrem Buch an einer Krebserkrankung, der sie 1964, zwei Jahre nach der Veröffentlichung, erlag. Mit der eingängigen Mischung aus Wissenschaft, Protest und Poesie, die sie in "Der stumme Frühling" zu einem Sachbuch neuen Typs amalgamiert hat, hat Rachel Carson Maßstäbe gesetzt.
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Die Macht dieser Spritz- und Sprühmittel ist groß: Sie töten jedes Insekt, die "guten" wie die "schlechten", sie lassen den Gesang der Vögel verstummen und lähmen die munteren Sprünge der Fische in den Flüssen. Sie überziehen die Blätter mit einem tödlichen Belag und halten sich lange im Erdreich – all dies, obwohl das Ziel, das sie treffen sollen, vielleicht nur in ein wenig Unkraut oder ein paar Insekten besteht. Kann irgend jemand wirklich glauben, es wäre möglich, die Oberfläche der Erde einem solchen Sperrfeuer von Giften auszusetzen, ohne sie für alles Leben unbrauchbar zu machen? Man sollte die Stoffe nicht Insektizide, Insektenvertilgungsmittel, sondern "Biozide", Töter allen Lebens, nennen.
Die leidenschaftlichen Diskussionen, die Rachel Carson Anfang der 60er Jahre mit ihrem Buch entfachte, führten Anfang der Siebziger zu einem Verbot von DDT in den USA und vielen anderen Ländern. Dabei wusste die Biologin durchaus zu differenzieren.
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Ich trete nicht etwa dafür ein, dass chemische Insektizide niemals verwendet werden dürfen. Ich behaupte aber, dass wir giftige und biologisch stark wirksame Chemikalien wahllos in die Hände von Personen geben, die weitgehend oder völlig ahnungslos sind, welches Unheil sie anrichten können. Wir haben eine ungemein große Anzahl von Menschen ohne ihre Zustimmung und oft ohne ihr Wissen in enge Berührung mit diesen Giften gebracht.
Rachel Carson war, neben Robert Jungk und zwei, drei anderen Autoren, eine der Pionierinnen der modernen Umweltpublizistik. DDT wird heute kaum mehr eingesetzt, nicht zuletzt des Engagements der kämpferischen Amerikanerin wegen. Die Lektüre von "Der stumme Frühling" ist heute allerdings wohl nur mehr von historischem Interesse. Wir haben andere Probleme, von der Klimaerwärmung bis zur globalen Ressourcenvergeudung – Probleme, die dringend von Autorinnen wie Rachel Carson aufgegriffen werden müssten.
Service
Rachel Carson, "Der stumme Frühling", aus dem Englischen von Margaret Auer, C. H. Beck