Finanzskandal erschüttert Italiens Kulturszene

In Italien sorgt ein Finanzskandal in der Kulturszene für große Verärgerung. Wie ein Bericht des Rechnungshofs aufgedeckt hat, wurden 2,1 Milliarden Euro, die eigentlich zur Katalogisierung aller staatlichen Kunstwerke veranschlagt waren, in den Sand gesetzt.

Mittagsjournal, 16.7.2012

Filippo Arosa ist Kunsthistoriker und verzweifelt: "Das war vorauszusehen, dass die meiste Kunst des Museums der Uffizien in Magazinen untergebracht ist. Aber dass man anscheinend nicht genau weiss, von welchem Wert die dort gelagerte Kunst ist, das erstaunt schon. Das gilt auch für alle anderen Museen und Kunstwerke."

Ariosas Verzweiflung datiert nicht erst seit der Veröffentlichung des Rechnungshofberichtes, sondern ist eine generelle: "Wenn man schon in einem der meist besuchten Museen Italiens, in den Uffizien, nicht weiß, was Sache ist, dann möchte ich nicht wissen, wie die Situation woanders aussieht."

1986 stellte die damalige Regierung des Sozialisten Bettino Craxi 2,1 Milliarden Euro, nach heutiger Währung, für ein gigantisches Projekt zur Verfügung. Die Regierung wollte wissen, wie viele Kunstwerke sich wo befinden, um was es sich genau handelt, in welchem Zustand sie sich befinden und welchen Wert, ungefähr, sie haben. Eine Herkulesaufgabe, die ein Heer von Archäologen und Kunsthistorikern bewältigen sollte, die sich mit den Direktoren aller staatlichen Museen, archäologischen Grabungsstätten, mit kommunalen, provinzialen und regionalen Kulturverwaltern in Verbindung setzen sollten, um von diesen genaue Zahlen zu erhalten.

Dieses Projekt ist zwar nicht komplett gescheitet, so das Fazit der Beamten des Rechnungshofes, die die Verwendung dieser staatlichen Gelder kontrolliert haben, aber doch im Großen und Ganzen ein Flop, ein Fiasko. Wie im Fall der Florentiner Uffizien.

Man weiss, dass 1.835 Kunstwerke ausgestellt sind. 2.300 lagern in Magazinen. Doch welchen ungefähren Marktwert diese Objekte haben, ist unbekannt. Unbekannt sind auch viele andere Zahlen - und das, klagt der Kunsthistoriker Salvatore Settis, obwohl seit Beginn des Katalogisierungsprojekts 26 Jahre vergangen sind: "Es ist schon traurig zu sehen, dass man in diesem Land, das von seiner Kunst lebt, die Millionen von Touristen anzieht, gar nicht genau weiß, was man besitzt. 1986 entschied man sich zu einer Katalogisierung, um dem immer schlimmer werdenden Kunstdiebstahl zu begegnen und gezielt geraubte Kunstwerke auf dem Kunstmarkt ausfindig zu machen. Aber unser Kulturministerium war nicht fähig, dieses Projekt in die Realität umzusetzen."

Für Kunstdiebe ist Italien immer noch ein Schlaraffenland. Sicherlich: die Kunstdiebstahlpolizei, weltweit einmalig, erzielt Erfolge, doch oftmals weiß man gar nicht, was gestohlen wird, weil keine Dokumentation zu den geraubten Objekten existiert.

Der italienische Staat besitzt 3.430 Museen, 216 archäologische Grabungsstätten, 10.000 Kirchen, 1500 Klöster und 40.000 Burgen und Schlösser. Alles voller Kunst und nur wenig davon katalogisiert.

Der Rechnungshof fragt also nach, wo das viele Geld für das Katalogisierungsprojekt geblieben ist. Irgendwo versickert? In private Taschen gelangt? Eine Antwort auf diese Frage wird es vielleicht irgendwann geben. Eine Antwort auf die Frage, warum man in Italien unfähig ist, die staatliche Kunst zu erfassen, wird schwieriger zu erlangen sein. Das Argument, dass Italien zuviel Kunst besitzt, greift nicht, denn in 26 Jahren hätte man so ein Projekt realisieren können, wenn es den Willen dazu gegeben hätte.

Textfassung: Joseph Schimmer