Bildband über die Naturreligion
Voodoo
Agbowadan war 13, als man ihn auf dem Körper und im Gesicht Schnitte zufügte, in die ein magisches Pulver gerieben wurde, das die Wunden vernarben ließ. Narben sind Zeichen, man spricht ihnen die Kraft zu, alles Böse abzuhalten. Heute ist Agbowadan 34 und ein berühmter Voodoo-Priester in Porto Novo in Benin, bekannt für seinen guten Draht zu den Göttern.
8. April 2017, 21:58
Wer ein Problem hat, kommt zu ihm. In seiner kleinen, mit Metallgegenständen gefüllten Hütte wird der Priester dann die Götter um Rat fragen, nicht zuletzt Gu, den Gott des Eisens. Wenn auf einem Menschen ein Fluch lastet, kann Agbowadan dafür sorgen, dass seine Seele seinen Körper verlässt, um in einer Zwischenwelt mit Hexern über die Freigabe des Verfluchten zu verhandeln. Voraussetzung ist eine stattliche Opfergabe.
Agbowadan soll übernatürliche Fähigkeiten haben. "Ich kann einen Menschen töten - mit meinen bloßen Worten und auch über große Distanzen hinweg", erklärt er stolz.
Die Fotografin Ann-Christine Woehrl hat, begleitet von der Kulturwissenschaftlerin Laura Salm-Reifferscheidt, Agbowadan besucht, gesprochen und fotografiert - und unversehrt, aber nicht unbeeindruckt seine Klause wieder verlassen. Sein Porträt ist zu sehen in dem Bildband "Voodoo".
"Ich habe Voodoo als Religion nur als Beobachter erlebt", sagt Ann-Christine Woehrl. "Ich glaube, das ist auch ganz wichtig bei dieser Art von Arbeit, dass man dokumentarisch ist und eine gewisse Nüchternheit hat, gleichzeitig aber auch die Offenheit, sich auf das auch völlig einzulassen."
Den Alltag bestimmend
Voodoo, das in der Fon-Sprache so viel wie "Geist" oder "Gott" bedeutet, ist Opferritual, spirituelles Erlebnis und Spektakel in einem, eine von Geistern und Ahnen beseelte Naturreligion. In Benin bestimmt sie den Alltag.
Das westafrikanische Land gilt als Wiege des Voodoo. Obwohl dort erst seit den 1990er Jahren als Religion offiziell anerkannt, soll Voodoo hier schon im 18. Jahrhundert, im damaligen Königreich Dahomey, praktiziert worden sein. Es geht um Heilung, um Toleranz, um Liebe, sagen die Voodoo-Priester, um das Gleichgewicht in der Gesellschaft. Dazu gehört auch die Vorstellung, dass die Götter diejenigen bestrafen, die aus der Gemeinschaft ausscheren und ihren Individualismus über alles stellen. Voodoo - das ist auch Magie und Hexerei.
"Zu dem Thema Voodoo bin eigentlich gekommen, als ich ein Hexendorf in Ghana dokumentiert habe im Jahr 2009", so Woehrl. "Und es da geht um Frauen, die stigmatisiert sind, als Hexen dann vertrieben wurden und Zuflucht finden. Und über diese Thematik bin ich auf Voodoo gekommen und in das Nachbarland Benin gereist."
Von den Geistern der Ahnen gesteuert
Der Oberpriester des Voodoo, Daagbo Hounon Tomadjlehoukpon II., mit prächtigem, weißem Gewand und goldenem Amulett, Frauen am Strand mit Schnapsflaschen und kleinen Holzfiguren und Fetischmärkte in der Stadt mit Pflanzen, Tieren und Tierkadavern: Das jährlich am 10. Januar stattfindende große Voodoo-Festival bietet Gelegenheit für außergewöhnliche Aufnahmen. Ann-Christine Woehrl fotografierte Männer mit bunten Masken oder Bastgewändern, deren Tanz von den Geistern der Ahnen gesteuert wird, Menschen, die ihre nackten Oberkörper mit einem gelben Gemisch aus Maismehl, Palmöl und Kräutern beschmieren, von dem sie sich Stärkung versprechen, und eine barbusige, mit reichlich Perlenschmuck drapierte Novizin eines Klosters bei ihrer Weihe.
Sie dokumentiert, wie das Blut von Hühnern und Ziegen über Fetischfiguren geträufelt wird und wie aufwendig diese Objekte aus Holz, Ton und Metall, aber auch Knochen und Goldstaub gestaltet sind. Sie zeigt die eigens für diese errichteten, außen und innen bemalten Hütten, aber auch den 300 Jahre alten Heviosso-Tempel in Abomey mit seinen mächtigen Tierreliefs und die große zeitgenössische Tempelanlage in Chamäleonform, die Agbalenon, ein Reformer des Voodoo, errichten ließ. Und immer wieder geht es ihr um die Protagonisten des Kults - wie Rada, eine Priesterin, die sie einmal in Zivil mit Handy und Krokoledertasche porträtiert, einmal bei der Ausübung eines Rituals.
"Die hat uns zu sich nach Hause geführt, wo sie als Priesterin fungiert", erzählt Woehrl. "Sie hat allerdings darüber geklagt, dass sie immer weniger Menschen initiiert, weil das wirtschaftlich heute viel Geld kostet. (...) Auf dem Foto sieht man auch, wie sie eine Opfergabe bringt oder ihre Gottheit wieder gut stimmen muss, um das eine oder andere sich erfüllen zu lassen. Und da ist sie dabei, mit Palmenschnaps diese Holzfetischfigur zu besprühen."
Großartige Schnappschüsse
Die kurzen, erläuternden Texte geben eine Einführung in Tradition und Praxis des Voodoo, basieren nicht nur auf Sekundärliteratur, sondern auch auf eigenen Beobachtungen und Gesprächen und liefern die nötige Hintergrundinformation zu den Bildern. Und die sind es, die das Buch so ungewöhnlich machen: wunderbare Schnappschüsse von Straßenszenen, Trancetänzen und Opferritualen, eindrucksvolle Porträts von Händlern, Fetischeuren und Medizinmännern.
Der dicke König von Abomey ist zu sehen, der sich mit einer silbernen Nasenplatte vor vergiftetem Staub und mit Gri-gris um den Hals vor bösem Zauber schützt; der Wahrsager Koffi Le Grand, der die schwierige Kunst des Fa-Orakel-Lesens beherrscht, bei der Schnüre mit Ölpalmennüssen eine wichtige Rolle spielen; oder die junge Priesterin Mahinu, die, in kostbares Tuch gekleidet, sich auf eine Todesfeier vorbereitet.
"Die war Anfang 30, eine unglaublich starke Frau, die sich in der Gesellschaft sehr behauptet und sich beklagt, dass wahrscheinlich kein Mann sie heiratet, weil sie zu stark ist – zu stark und zu einflussreich", erinnert sich Woehrl, "sich aber ihrer Aufgabe völlig verschrieben hat und diese Tradition weiter tragen möchte, während ihre vier anderen Geschwister in der Hauptstadt leben. Sie ist die einzige aus der Familie, die auch dafür bestimmt wurde."
Synkretismus mit Christentum und Islam
Das Buch von Woehrl und Salm-Reifferscheidt informiert über den Ursprung von Voodoo und die verschiedenen Gottheiten, über Voodoo als Glaube, als Heilkunst und Magie – und zeigt auch, was aus westlicher Sicht obsolet ist an dieser Religion: die Vorstellung von Hexen bzw. vom Verhextsein, der Exorzismus und die Ausgrenzung von psychisch Kranken. Es belegt aber auch, wie flexibel und anpassungsfähig dieser Glaube ist. Auch wer Christ ist oder Moslem – und die Mehrheit der Menschen in Benin gehört diesen beiden Religionen an –, wird deswegen nicht auf Voodoo verzichten.
"Was uns schwer beeindruckt hat und omnipräsent ist, ist dieser Synkretismus", sagt Woehrl. "Also dass diese Religionen einher gehen. Das heißt nicht, wenn ich Christ bin, bin ich kein Voodoo-Anhänger, sondern diese Grenzen vermischen sich völlig. Wenn einer in die Kirche geht, kann er trotzdem noch seinen Altar zuhause haben oder seinen Fetisch verwöhnen oder gut stimmen. Der Synkretismus ist dort ganz, ganz spürbar. Das macht auch diese Religion so faszinierend, dass es darum geht, das Hier und Jetzt zu bedienen, die Bedürfnisse und Wünsche, dass sie jetzt erhört werden von den Gottheiten und dass dann Veränderungen stattfinden. Das wird dann in Zeremonien, Gesang, Tanz gelebt, feierlich und bunt. Das ist es, was wir daran spannend fanden."
Wenn ein Gott nicht fotografiert werden möchte, dann funktioniert auch die Kamera nicht, sagte eine der Priesterinnen, die die Fotografin und die Autorin in Benin trafen. Doch die Götter meinten es gut mit Ann-Christine Woehrl, sie hat großartiges Bildmaterial mit nach Hause gebracht. Die schönsten Fotos sind nun in dem Bildband zu sehen, einem Band, der das Leben mit Voodoo weder verklärt, noch entzaubert oder in all seinen Facetten erfasst, aber doch einen intensiven, einen faszinierenden, mitunter aber auch verstörenden Eindruck vermittelt von einer für uns äußerst exotischen, mystisch-animistischen Tradition.
Service
Ann-Christine Woehrl, Laura Salm-Reifferscheidt, "Voodoo. Leben mit Göttern und Heilern in Benin", Verlag terra magica
terra magica - Voodoo