Streit um Stahlwerk-Sperre wegen Dioxin

Proteste in der süditalienischen Stadt Taranto gegen die mögliche Schließung eines der größten Stahlwerke Europas. Ein Gericht hat in der vergangegen Woche große Teile des ILVA-Werks beschlagnahmt und Besitzer sowie mehrere Manager in Untersuchungshaft genommen. Bei einer Großdemonstration sind Umweltaktivisten und Arbeiter aufeinander losgegangen.

Morgenjournal, 3.8.2012

Angst um Jobs

"Ambiente e lavoro", Umwelt und Arbeit, gaben Italiens große Gewerkschaften beim gestrigen großen Protestmarsch in Taranto als Devise aus. Aber nicht alle sehen das so: "Das letzte, um das wir uns kümmern müssen, ist die Umwelt! Wir müssen unsere Familien erhalten," sagt ein Arbeiter. Der Chefin von Italiens größter linker Gewerkschaft, Susanaa Camusso, ist das Dilemma bewusst: "Natürlich macht so eine schwierige Situation den Arbeitern Angst. Aber man darf sich nicht vor diesen Diskussionen fürchten und muss sie in Ruhe angehen."

Politik schaute weg

Das Stahlwerk Ilva ist nicht irgendein Arbeitgeber. In der 200.000 Einwohnerstadt Tarent hängt fast alles am Werk. 10.000 Arbeiter sind direkt beschäftigt, weitere Tausende bei Zulieferen und Subunternehmen. Jahrelang habe die Politik - die lokale und nationale - weggeschaut, sagt Stefano Ciaffani, Vizechef der Umweltorganisation Legambiente, und nichts gegen die Vergiftung der Stadt durch Dioxin, Feinstaub und andere gefährliche Substanzen unternommen. Vergeblich hatten Umweltschützer auf erhöhte Krebsraten hingewiesen. 90 Prozent des gesamtitalienischen Dioxinausstoßes kamen laut ihren Berechnungen bis vor wenigen Jahren aus dem ILVA-Werk in Taranto. Erst ein verschärftes Gesetz gegen erhöhten Dioxinausstoß habe wenigstens dies zuletzt verändert. Große Verantwortung trifft die Unternehmerfamilie Riva, sagt Umweltschützer Ciaffani, die sich auf jede nur erdenkliche Weise Auflegen entgegengestellt und jede Verantwortung abgestritten hat.

Warten auf Modernisierung

Auf seiner Seite hatte das Unternehmen auch immer wieder die Politik. So zog die Umweltministerin der letzten Berlusconi-Regierung Kontrollore ihres Ressorts ab, die als zu streng galten. Nach dem Gerichtsbeschluss der vergangenen Woche ist der Umweltminister der Regierung Monti in Aktion getreten. In Krisentreffen berät er mit Staatsanwälten und Verantwortlichen, wie ein endgültiger Produktionsstopp abgewendet werden kann. Das verseuchte Gelände und das Meer vor Tarent sollen gesäubert werden. Das beseitige aber nur die Schäden der Vergangenheit, kritisiert Umweltschützer Ciaffani: "Wir warten noch auf Signale, dass das Unternehmen gezwungen wird, radikal zu modernisieren. Der Umweltminister muss das verfügen. "
Von der vorläufigen Schließung bis zu einer endgültigen Klärung sind etwa 5.000 Stahlarbeiter betroffen - in einer Region mit ohnehin hoher Arbeitslosigkeit.