Jonas-Netter-Sammlung in Paris

Die neueste und größte private Kunsthalle in Paris, die Pinakothek in der Nähe der Madeleine, macht in letzter Zeit immer häufiger durch vielbeachtete Ausstellungen von sich reden. So auch diesen Sommer: Noch bis Mitte September zeigt der umtriebige Direktor, Marc Restellini, über 120 Werke aus der bisher der Öffentlichkeit völlig unbekannten Jonas-Netter-Sammlung.

Der Titel der Schau: "Modigliani, Soutine und das Abenteuer von Montparnasse». Der heute 86-jährige Sohn des Mäzens und Kunstsammlers Jonas Netter, Gérard, hat sich endlich entschlossen, die von seinem Vater geerbten Werke der Öffentlichkeit zu zeigen, bevor sie Teil einer Stiftung werden.

Kulturjournal, 6.8.2012

Kunstbegeisterter Elsässer

Jonas Netter war einer von Hunderttausenden Elsässern, die nach dem Krieg 1870/71 das zu Deutschland gefallene Elsass verlassen und sich andesrwo in Frankreich niedergelassen haben, ein Handelsvertreter ohne besonders großes Vermögen, aber ein Kunstbegeisterter, der für die Impressionisten nicht über ausreichende Mittel verfügte.

Mit fast 50 begann er aber, während des Ersten Weltkriegs, die bettelarmen Künstler vom Montmartre wie Utrillio und Valadon und andere, die sich in jenen Jahren Richtung Montparnasse bewegten, gemeinsam mit dem Kunsthändler Zborowski unter Vertrag zu nehmen - die Avantgarde jener Jahre, wie Modigliani und Soutine, für die sich die großen Kunstsammler dieser Zeit wie Paul Guillaume weniger interessierten. Wie richtig Jonas Netter lag, mag man daraus ersehen, dass der große amerikanische Sammler Julian Barnes Mitte der 20er Jahre rund 100 Werke von Soutine bei ihm kaufte.

"Wenn er einen Maler liebte, dann kaufte er alles"

"Mein Vater war ein extrem diskreter Mann", sagt Gerard Netter, der heute 86-jährige Sohn des Sammlers. "Jetzt, über 60 Jahre nach seinem Tod, ist er plötzlich berühmt." So diskret war er, dass es über Jonas Netter keinerlei Schriften gibt, von ihm nur ein einziges Foto sowie - in der Ausstellung zu sehen - ein Portät existiert, das der polnische Maler Kissling 1920 von ihm gemalt hatte.

"Er liebte seine Sammlung ungemein und er war zufrieden, sich sagen zu können: Ich hatte vor allen anderen recht", so Gerard Netter. "Wenn er einen Maler liebte, dann kaufte er alles. Das hat er mit Soutine gemacht und eine gewisse Zeit lang auch mit Modigliani."

So kommt es, dass der Ausstellungsbesucher, der meint, von Modigliani ohnehin alles zu kennen, hier eines Besseren belehrt wird, denn, so Pinakothekchef Marc Restellini: "Die meisten Werke hier hat man seit über 70 Jahren nicht sehen können."

Der "Boticelli der Moderne"

Etwa elf ergreifende Portäts von Modigliani sind zu sehen, darunter eines seiner Lebengefährtin Jeanne Hébuterne, kurz bevor Modigliani starb und sie Selbstmord beging.

"Das Bild ist wunderbar, pathetisch, von einer unglaublichen Schönheit, im Profil", so Marc Restellini. "Auf Grund dieses Gemäldes hat man Modigliani als 'Boticelli der Moderne' bezeichnet. Und dann eines der schönsten Bilder, die er je gemalt hat: das 'Mädchen in Blau', eine Ikone; und dieser außergewöhnliche Derain, 1907, die dritte Version der 'Badenden' von Derain, die für ihn eine vergleichbar große historische Bedeutung hatten, wie die 'Demoiselles d'Avignon' für Picasso." Ein Derain, der seit 1945 nicht mehr öffentlich gezeigt worden war.

Keine Gäste eingeladen

Gerard Netter, der Sohn des Sammlers, hat von klein auf in einer riesigen, luxuriösen Pariser Wohnung mit diesen Meisterwerken zusammengelebt: "Ich verzichtete al Kind darauf, Klassenkameraden einzuladen, weil ich Angst hatte, ausgelacht zu werden wegen der Gemälde an den Wänden zu Hause, die man damals als etwas Unglaubliches und Schockierendes betrachtete."

Sein Vater liebte sie und hat Künstlern wie Modigliani und Soutine zum Ausgang des Ersten Weltkriegs einige Jahre lang erlaubt, ein regelmäßiges, wenn auch sehr geringes Einkommen zu haben - als Gegenleistung bekam er ihre gesamte Produktion. Es gäbe, so sagt Pinakothek-Chef Restellini, wohl keinen Modigliani in den Museen der Welt, der nicht irgendwann durch die Hände von Jonas Netter gegangen sei.