Deutschland: Krankes Organspendensystem

Seit Wochen erschüttert ein Organspendeskandal Deutschland. Mindestens ein Arzt soll durch Manipulation von Krankenakten bestimmten Patienten schneller ein neues Organ verschafft haben. Noch ist das aber nicht endgültig bestätigt. Politik und Ärzte wollen jetzt durch noch mehr Transparenz das verlorene Vertrauen zurückgewinnen.

Mittagsjournal, 11.8.2012

ORF-Korrespondent Johannes Marlovits berichtet aus Berlin.

In Zukunft Vier-Augen-Prinzip

In Deutschland kommen auf eine Millionen Einwohner etwa 15 Organspender, in Österreich sind es 23. Damit liegt Deutschland in diesem Bereich international im unteren Drittel. Um die Bereitschaft zur Spende zu erhöhen, wurde vor einigen Monaten die gesetzliche Regelung geändert. Alle Versicherten ab 16 Jahren sollen angeschrieben, informiert, mit einem Ausweis ausgestattet und zur Entscheidung, ihre Organe zu spenden, aufgefordert werden.

Dass sich jetzt mehr Menschen in Deutschland dafür entscheiden werden, ist allerdings fraglich. Die Vorfälle in Göttingen und Regensburg verstören potentielle Spender. Mindestens ein Arzt soll in diesen beiden Kliniken Patienten kränker gemacht haben als sie tatsächlich waren, damit sie schneller ein neues Organ bekommen. Die Ermittlungen laufen, auf jeden Fall erschüttert ist das Vertrauen. "Ich glaube, das kann man nur durch Offenheit, durch Transparenz, aber auch durch Streifen, also auch durch Konsequenz wieder beseitigen", betont der Präsident der deutschen Bundesärztekammer, Frank-Ulrich Montgomery. Bei einem ersten Treffen von Experten wurden nun Vorschläge gemacht. Ein zentraler Punkt sei das Vier-Augen-Prinzip, erklärt Montgomery: "Wir wollen, dass eine Transplantation in Zukunft nicht mehr von nur einem Arzt oder einem Zentrum angemeldet wird, sondern dass ein unabhängiger Arzt, ein Laborarzt, bestätigt, dass die Ausgangsbefunde alle richtig waren."

Ausnahmen von der Regel häufen sich

Zusätzlich soll es mehr unangemeldete Kontrollen geben und wenn sich Manipulationsvorwürfe erhärten, dann soll die Zulassung des Arztes ruhend gestellt beziehungsweise sogar entzogen werden. Dass das System der Organspende in Deutschland manipulationsanfällig ist, ist kein Geheimnis mehr. Es gibt eine offizielle Warteliste mit Patienten, die ein neues Organ brauchen. Sobald ein Spender gefunden ist, werden die wichtigsten Merkmale abgeglichen und dann dem geeigneten Empfänger zugeordnet.

Es gibt aber auch ein beschleunigtes Verfahren. Etwa wenn der Organspender alt oder krank ist und die Transplantation nicht hinausgezögert werden kann. Dann kann das jeweilige Krankenhaus eigenmächtig entscheiden. An und für sich eine Ausnahme, aber eine notwendige, denn jedes Organ, das zur Verfügung steht, kann ein Menschenleben retten. In den letzten zehn Jahren ist die Zahl dieser Ausnahmen allerdings extrem gestiegen. Wird flächendeckend in deutschen Spitälern manipuliert? Georg Baum von der deutschen Krankenhausgesellschaft glaubt nicht daran: "Die Mediziner sagen alle, die Spender sind älter geworden, die Organe sind dadurch von schlechterer Qualität. Um aber den Menschen, die dringend Organe brauchen, eine zusätzliche Chance zu geben, werden sie heute intensiver genutzt."

Auch im Gesundheitsministerium in Berlin ist man der Meinung, dass aufgrund der Altersentwicklung öfter das beschleunige Vergabeverfahren angewendet wird. Nichts desto trotz müsse es Verbesserungen geben, ist Gesundheitsminister Daniel Bahr überzeugt und zwar möglichst rasch. Ende August soll daher eine Spitzenrunde im Gesundheitsministerium einberufen werden.