Liebe macht blind

Die Café-Sonntag-Glosse von Joesi Prokopetz

"Die Liebe ist der Liebe Preis", sagt Schiller. "Das Glück ist blind", sagt Cicero. Ein deutsches Sprichwort kalauert: Die Liebe ist nicht blind, sie sieht nur nichts, was in der Folge in den Sager mündet: "Der Verliebte sieht nur das Lächeln und nicht die Zahnlücken."

Joesi Prokopetz

Liebe macht blind, immerhin ein Plato-Wort. Männer subsumieren ja unter "Liebe macht blind" oder gar "blöd", besonders die durch überbordende Zuneigung entstehende Sehschwäche, die Blindheit der Frauen. Denn kaum kommt eine für Männer vordergründig attraktive, betont erotische Frau ihren Lover kosend vorbei, so sagen neun von zehn: "Was macht die mit dem schirchen Hund?" Die durch Liebe oder eher zielloser Begierde bedingte Blindheit in Liebesdingen richtet sich beim Mann vor allem zunächst gegen sich selbst. Denn von denen, die den Begleiter der leidenschaftlichen Dame als "schirchen Hund" bezeichnet hatten, sind die meisten von leiblicher Ästhetik weit entfernt. Daraus könnte man schließen, dass je blinder Männer ihrer eigenen Abstoßendheit gegenüber sind, desto blöder sind sie geblieben.

Für Männer galten und gelten gewisse politisch korrekte Chiffren: Ein hässlicher Mann ist interessant, ein dicker stattlich und selbst die dümmsten Männer kommen immer noch mit einem "urwüchsig" davon. Ein kleiner dicker Volltrottel, also ein vertikal und horizontal Herausgeforderter anderweitig Begabter, wird uns häufig als "mein Bärli" vorgestellt.

Selbstverständlich gilt der verliebte Tunnelblick vice versa auch Frauen gegenüber. Da werden gestandene Männer in Begleitung vermeintlich hässlicher Frauen - politisch korrekt ist eine Frau ja nicht hässlich, sondern "kosmetisch verschieden" - ebenso der Blindheit geziehen.

Wenn ältere Frauen junge Männer spazieren führen, so wird ihnen nicht das Goethe-Wort "Lust und Liebe sind die Fittiche zu großen Taten" zugestanden, sondern es wird Ihnen die späte, zügellose Begierde der Matronen unterstellt.

Jedoch: Flehen wir nicht alle in innerlichen Momenten: Oh Liebe, du Himmelsmacht, lass mich zu den Füßen eines oder einer Geliebten hinsinken und - selbst unerhört - dort lieben bleiben? Dunkelheit ist doch nur Abwesenheit von Licht.