Roman von Daniel Woodrell
Der Tod von Sweet Mister
Der amerikanische Traum ist mittlerweile auch nicht mehr das, was er einmal war. Der Glaube, jeder kann es schaffen, wenn er oder sie sich nur ganz viel anstrengt und auf Gott und die eigenen Fähigkeiten vertraut, verblasst nach vier Jahren Wirtschafskrise mehr und mehr.
8. April 2017, 21:58
Man träumt nicht mehr vom sozialen Aufstieg, sondern fürchtet sich vorm sozialen Abstieg. Nicht länger vom Tellerwäscher zum Millionär, sondern vom Facharbeiter zum Tellerwäscher, so verlaufen heute Karrieren.
Demnach ist Daniel Woodrells Buch der ideale Roman zur Zeit; auch wenn er im Original bereits 2001 erschienen ist. Denn Woodrell beschreibt nüchtern und ohne falsches Pathos, wie es sich dort ganz unten lebt. In einer Welt, in der die allein erziehende Mutter schon zu Mittag ihren "Tee" aus der Thermoskanne trinkt - so nennt sie verniedlichend den Cocktail, den sie sich jeden Tag in großen Mengen mixt – und ihr Sohn mit 13 Jahren übergewichtig ist, weil die einzige Belohnung und der einzige Trost, den ihm die Mutter geben kann, billige Süßigkeiten sind.
"White Trash" werden jene Menschen in den USA despektierlich genannt, für die Leben immer nur Überleben heißt - Frauen, die schon mit 16 schwanger sind, und die sich immer wieder auf die selben Männer einlassen; auf Männer, die saufen, stehlen, immer wieder ins Gefängnis wandern und wenn sie draußen sind, ihre Frauen verprügeln.
Tief unten
Woodrell erzählt von Glenda, ihrem 13-jährigen Sohn Shug und von Red, dem Freund von Glenda. Der terrorisiert die Familie, schlägt Glenda, nennt Shug mit Vorliebe "Fettsack" und stiftet ihn zu Einbrüchen an. Shug muss die Regenrinnen hinaufklettern, das Fenster aufbrechen und das Medikamentenregal des Doktors leer räumen; eine anderes Mal erschleicht er sich als Zeitungsjunge verkleidet Einlass in die Häuser von Kranken – und stiehlt deren verschreibungspflichtige Medikamente.
Als Shug verhaftet wird, treibt Red und Glenda nur eine Sorge um: dass der Junge der Polizei verraten könnte, wer ihn angestiftet hat.
Suche nach dem Vater
Bekannt wurde Woodrell mit seinem Roman "Winter's Bone". Dieser wurde 2010 verfilmt und für mehrere Oscars nominiert. Auch in "Winter's Bone" steht das Drama eines Jugendlichen im Mittelpunkt, jenes der 17-jährigen Ree, die sich auf die Suche nach ihrem Vater macht. Im Roman "Der Tod von Sweet Mister" sucht der 13-jährige Shug seinen Vater. Einerseits den realen - immer wieder schwärmt seine Mutter, was für ein toller, schöner Mann er gewesen sei -, andererseits den imaginären, nämlich irgendeinen Mann, der als Vorbild dienen könnte.
Red, der gewalttätige Freund seiner Mutter, kann diese Rolle nicht ausfüllen. Aber – und das zeigt Woodrell sehr deutlich: Die Gewalt, mit der Shug tagtäglich konfrontiert ist, infiziert auch ihn. So funktioniert soziales Lernen: Der, der zu Beginn noch Opfer war, wird am Schluss zum Täter und agiert ebenso unbarmherzig, wie all jene, die ihn misshandelt haben.
Kein Entkommen
Als "Hillbilly Noir" hat die "New York Times" die Bücher von Woodrell beschrieben. Und das trifft es recht gut. Denn so wie im Film noir und im Roman noir gibt es auch bei Woodrell kein Entrinnen. Wie auf Schienen eilen die Protagonisten ihrem Schicksal entgegen. Und dass dieses Schicksal kein erfreuliches sein wird, das weiß der Leser bereits nach den ersten paar Seiten.
Trotz der Vorhersehbarkeit aber bleibt der Roman bis zur letzten Seite spannend und lesenswert. Das hat einerseits mit dem Stil von Woodrell zu tun, denn anders als viele deutschsprachige Autoren, die, wenn sie über ärmere Menschen schreiben, immer auch mit erhobenen Zeigefinger all jene anprangern, die vermeintlich Schuld an der Armut der anderen haben (Kapitalismus – Gesellschaft – die Reichen), verzichtet Woodrell auf jegliches Pseudoengagement. Die Welt ist wie sie ist, und er schildert sie. Nicht mehr und nicht weniger.
Nicht nur ist Woodrells Stil makellos, der ganze Roman ist klug konzipiert. Das Verhältnis der Protagonisten untereinander verändert sich immer wieder. Allianzen werden geschmiedet, nur um sich gleich darauf wieder als brüchig zu erweisen. Shug und seine Mutter Glenda haben ein seltsames Verhältnis. Für Glenda ist Shug auch ein Mannersatz: Sie bastelt sich ihren Sohn zu dem perfekten Mann, den sie im realen Leben nicht gekannt hat. Dann wieder solidarisiert sie sich mit Red, der sie verprügelt. Irgendwann taucht ein weiterer Mann auf, der Glenda und Shug anscheinend wirklich gerne hat. Das Ganze endet natürlich in einer Katastrophe. Aber wie Woodrell die Handlung daraufhin zusteuern lässt und mit welchen überraschenden Wendungen er aufwartet, das hat große literarische Klasse.
Service
Daniel Woodrell, "Der Tod von Sweet Mister", aus dem Englischen übersetzt von Peter Torberg, Liebeskind Verlag
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