Spanien: Kultur in der Krise
Seit dem Platzen der Immobilienblase im Jahr 2008 befindet sich Spanien in einer schweren Wirtschaftskrise. Am 1. September hat die ohnehin krisengeschüttelte Bevölkerung eine allgemeine Steuererhöhung von 18 auf 21 Prozent einstecken müssen. Seither sorgen zahlreiche Proteste gegen die Sparmaßnahmen der Regierung regelmäßig für Schlagzeilen. Besonders hart getroffen hat es den Kunst- und Kulturbereich: Hier ist die Mehrwertsteuer von ehemals 8 Prozent auf 21 Prozent angestiegen.
8. April 2017, 21:58
Damit ist Spanien das einzige Land der Eurozone, in dem kein reduzierter Steuersatz auf Kunst und Kultur gilt. Nicht einmal ein Monat nach dieser drastischen Erhöhung sind zahlreiche Festivals, Kinosäle und Theaterhäuser mit gravierenden finanziellen Problemen und sinkenden Zuschauerzahlen konfrontiert. Vertreter der Kulturindustrie protestieren gegen diese Maßnahme, die dem Staat und der Gesellschaft viel mehr Schaden als Nutzen bringe, wie sie sagen. Bisher scheint es allerdings keine Aussicht auf eine Einsicht der Regierung zu.
Wenn Kino zum Luxus wird
Von einer "Katastrophe" sprach der Präsident der spanischen Filmakademie, Enrique González Macho, als die Steuererhöhung im Juli bekannt wurde. Knapp ein Monat nach ihrer Umsetzung seien jetzt erste Einbrüche in der Filmindustrie spürbar: "Vor allem wird das Kinopublikum wählerischer und riskiert bei der Filmauswahl weniger, was zu einem weiteren Besucherrückgang führen wird. Wenn du früher etwa viermal monatlich ins Kino gegangen bist, gehst du jetzt vielleicht ein- bis zweimal, und diese Auswahl bewirkt eine Polarisierung zwischen den einzelnen Filmen, die schädlich für die gesamten Filmkunst ist."
In den ersten drei Septemberwochen sind die Kinobesuche bereits um zehn Prozent zurückgegangen, sagt Enrique González Macho, der selbst Filmproduzent und Inhaber der spanischen Programmkinos Cines Renoir ist. Zudem werden im kommenden Jahr fast 60 Prozent weniger Filmprojekte realisiert als gewöhnlich. Die Reaktion der Betroffenen ist vehement. Binnen kürzester Zeit haben sich die Vertreter der Theater-, Musik- und Filmschaffenden zu einer nationalen Protestorganisation formiert.
Seither wird beständig mit der Regierung verhandelt, erklärt Borja de Benito vom spanischen Dachverband der Filmschaffenden: "Wir verhandeln mit der Regierung, seit diese Erhöhung bekannt wurde. Wir haben ihnen verschiedene Wirtschaftsberichte vorgelegt, die zeigen, dass ihre Entscheidung auf lange Sicht die Schließung von Kinos und die Entlassung zahlreicher Menschen bewirken wird, und natürlich, dass die Leute seltener ins Kino gehen. Was die Regierung hier macht, ist den Zugang zur Kultur zu erschweren. Wenn du dir heute eine Rolex kaufst oder ins Kino gehst, zahlst du die gleiche Steuer."
Theater um einen Euro
Für besondere Empörung bei den Film- und Theaterschaffenden hat die Aussage einiger Regierungsmitglieder gesorgt, wonach Theater, Konzerte, Oper und Kino zum Unterhaltungssektor zählen. Bücher sind dagegen mit vier Prozent weiterhin sehr niedrig versteuert. Borja de Benito stört vor allem der Widerspruch hinter dieser Argumentation: "Nehmen wir ein Werk von Shakespeare: Sie betrachten das Buch als Kultur, die Theateraufführung aber als Unterhaltung. In Wahrheit ist ein Theaterstück von Shakespeare dafür geschrieben, aufgeführt zu werden und für die Regierung ist das nur Unterhaltung. Für uns ist diese willkürliche Entscheidung zwischen Kultur und Unterhaltung eine Beleidigung. Das ist Kultur. Vor allem das Kino, das das Bild Spaniens in andere Länder überträgt. Es ist Teil der Kultur eines Landes, denn es vermittelt die kulturellen und sozialen Werte einer Gesellschaft."
Im Theaterbereich trifft es vor allem die kleinen Bühnen, deren Besucherzahlen durch die Wirtschaftskrise bereits im letzten Jahr um ein Drittel gesunken sind. Fast alle kleinen Theaterhäuser weigern sich im Moment, die Eintrittspreise zu erhöhen. Zu groß ist die Angst, noch mehr Zuschauer zu verlieren, sagt Jorge de las Heras, der Leiter eines beliebten Offtheaters im Madrider Stadtzentrum: "Die Tendenz ist genau das Gegenteil: Seit eineinhalb Jahren senken wir die Eintrittspreise beständig. Ich hab zum Beispiel jeden Dienstag die Aktion 'Theater um einen Euro', denn ich weigere mich - auch wenn ich dadurch viele Einnahmen verliere - dass sich das Theater in ein Luxusgut verwandelt.
Aufmarsch der Clownarmee?
Auch Montse Martinez, Direktorin des kleinen Madrider Teatro Prosperidad, hat für ihre aktuelle Produktion kurzerhand das Motto "Theater um einen Euro" ausgerufen. Die Verluste werden vorerst von den Künstlern und Technikern selbst getragen, denn sie wollen die Gunst des Publikums nicht verlieren. Man würde jetzt eben alles versuchen, um der Wirtschaftskrise die Stirn zu bieten, erzählt sie: "Hier in Spanien gibt es immer kreativere Initiativen, um den Betrieb aufrecht zu erhalten und das Publikum trotz Krise ins Theater zu locken. Zum Beispiel verkauft eine Theatertruppe in Gerona Karotten und man bekommt zu jeder Karotte eine Theaterkarte geschenkt. Denn die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel ist mit vier Prozent um ein Vielfaches niedriger als die auf Theaterkarten mit 21 Prozent. Mit dieser Aktion versuchen sie, mehr Publikum anzulocken und auf sich aufmerksam zu machen. Es ist aber auch eine Form des symbolischen Protests gegen die Steuererhöhung."
Für Jorge de las Heras müssten die Protestmaßnahmen aber viel weiter gehen. Vor rund einem Monat hat er alle Vertreter der Madrider Offtheaterszene zu einer Krisensitzung einberufen. Neben der Angst vor dem drohenden Konkurs habe man dort vor allem eine energische Aktionsbereitschaft geäußert: "Wir sind ein Kollektiv, das viel Potenzial hat, vor allem wenn es um Straßenaktionen geht. Wir haben schon daran gedacht, eine Clownarmee aus 2.000 Schauspielern aufmarschieren zu lassen. Aber das kann nur im Rahmen des nächsten Generalstreiks passieren, der noch nicht in Sicht ist. Dann werden wir uns organisieren, auf die Straße gehen und eine Demonstration veranstalten, die so schnell niemand vergessen wird."
Internetpiraterie killt Filmindustrie
Von einem derartigen Protestmarsch ist Borja de Benito wenig überzeugt. Die Union der spanischen Film-, Musik- und Theaterschaffenden sehe ihr Potential vielmehr in sachlichen Verhandlungen: "So wie es der spanischen Gesellschaft gerade geht, mit den vielen Kürzungen im Bildungs- und Gesundheitswesen, mit fünf Millionen Arbeitslosen, da hätte so eine Demonstration keinen Sinn. Die Bürger würden sie nicht verstehen, da sie gerade dringendere Anliegen haben. Worauf wir hingegen vertrauen, ist, dass wir genügend wirtschaftliche Grundlagen haben, um zu beweisen, dass diese Steuererhöhung kontraproduktiv ist für die Bürger, die Kulturindustrie und den Staat. Unsere Argumentation wird genau darauf basieren, auf wirtschaftlichen Fakten, die wir der Regierung regelmäßig zukommen lassen. Aber wir glauben, dass es vielleicht besser ist, wenn wir die Verhandlungen nicht in der Öffentlichkeit austragen.
Stete Subventionskürzungen und große Verluste durch die florierende Internetpiraterie machen der spanischen Filmindustrie seit Jahren zu schaffen. Die Union will jetzt erreichen, dass die Kultursteuer zumindest bis Anfang 2013 wieder gesenkt wird - immerhin hat der Kulturminister, José Ignacio Wert, die Maßnahme jüngst als vorläufig und reversibel bezeichnet. Gelingt das aber nicht, droht etwa 800 Kinos die baldige Schließung und zahlreiche Filmfestivals im ganzen Land stehen vor dem Aus.
Krise als Chance?
Für Enrique González Macho ist die erhoffte Steuerreduktion nur eine geringe Schadensbegrenzung: "Ich hoffe, dass das passieren wird, ähnlich wie in Holland. Dort wurde die Mehrwertsteuer im Kulturbereich angehoben und als man sah, dass die Einnahmen stark einbrachen, wurde sie wieder begradigt. Dasselbe ist auch in Portugal passiert. Sie haben die Mehrwertsteuer angehoben, gesehen, dass es absurd war, und sie wieder gesenkt. Aber der Schaden ist doch jetzt schon eingetreten. Wenn ein Kino geschlossen wird, bleibt es für immer geschlossen. Es wäre ganz sicher von Nutzen, wenn sie die Steuer wieder senken, aber es wird schwierig, das bis dahin verlorene Terrain zurückzugewinnen."
Das Wortspiel von der Krise als Chance wird von spanischen Theaterbetreibern dieser Tage auffallend oft bemüht. Auch Jorge de las Heras spricht davon, dass das Theater in Krisenzeiten die Chance hat, neue, experimentelle Formen hervorzubringen, auch wenn ihm die aktuelle Situation eher aussichtslos erscheint: "Vor 15 Jahren gab es in Madrid vier alternative Theaterhäuser. Seither ist die Offtheaterszene enorm gewachsen. Die Leute gehen zumindest alle ein bis zwei Monate ins Theater und schauen sich neue Stücke an. Das aufzubauen, hat viel Energie gekostet. Und jetzt droht alles wie ein Kartenhaus einzustürzen. Das stimmt mich sehr traurig."